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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen
Autoren: Marko Kilpi
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tritt Olli in den Vorgarten, doch seine Ankunft ist nicht unbemerkt geblieben. Ein Kopf erscheint am Fenster, die Haustür geht auf und Anna stürmt auf ihn zu.
    »Vorsichtig«, sagt Olli und deutet auf seine Rippen.
    Behutsam umarmt Anna ihren Mann. Sie stehen eine Weile eng aneinandergeschmiegt im Vorgarten. Dabei fällt Olli etwas aus der Hand.
    »Wo ist der Kleine?«, fragt er.
    »Er hält seinen Mittagsschlaf. Was ist denn das hier?« Anna hebt den Umschlag mit den Kaffeeflecken auf.
    »Das ist … ein großes Mysterium«, antwortet Olli leise.
    »Ein Mysterium?«, fragt Anna gespannt und schaut Olli an, sieht sein ernstes Gesicht, seinen unsteten Blick.
    Olli setzt sich auf die Treppe vor der offenen Haustür. Anna öffnet den Umschlag und nimmt den Inhalt heraus. Alte Fotos, die ihr nichts sagen.
    »Heikki Susiaho«, sagt Olli. Dann hüllt er sich in Schweigen.
    Anna wartet geduldig, setzt sich neben ihn und gibt ihm das, was er jetzt am dringendsten braucht: Zeit.
    Olli hält die Hand über Annas Schoß und lässt die goldene Halskette mit dem Kreuz hineinfallen, die er bei seinem Vater gefunden hat.
    »Geboren am neunten Mai siebenundvierzig. Von Beruf Elektrotechniker.«
    Anna dreht den Schmuck in den Händen und sieht, dass auf der Rückseite des Kreuzes der Name eingraviert ist, den Olli gerade genannt hat. Was geht sie dieser Susiaho an? Was hat er mit Olli zu tun?
    »Im Juli neunundsiebzig ist Susiaho verschwunden«, fährt Olli müde und mit leiser Stimme fort. »Vor rund zwanzig Jahren.«
    »Wo hast du die Kette gefunden?«
    »An Vaters Hals. Da hing sie seit Jahren. Seit rund zwanzig Jahren«, präzisiert Olli und sieht Anna bedeutsam an.
    Das klärt die Situation nicht unbedingt, sondern verwirrt Anna eher noch mehr. Bis ihr plötzlich der Gedanke kommt, dass Ollis Vater womöglich zu Susiahos Verschwinden beigetragen hat.
    »Ich verstehe gar nichts«, behauptet sie und drängt ihren Verdacht zurück. Einen Augenblick lang glaubt sie, lieber nichts über die Bedeutung der Bilder und des Schmucks erfahren zu wollen. Aber dann fragt sie doch: »Wer ist denn dieser Susiaho?«
    »Der Mann, den mein Vater sehr wahrscheinlich vor zwanzig Jahren zum Verschwinden gebracht hat«, erklärt er leise und schaut in die Ferne.
    »Zum Verschwinden gebracht … Wie denn das?«, wundert sich Anna.
    »Er hat ihn getötet«, erwidert Olli verlegen, aber mit fester Stimme. »Ermordet, um genau zu sein. Kaltblütig und mit Bedacht. Und dann hat er die Leiche so geschickt beseitigt, dass sie bis heute nicht gefunden wurde und wohl auch nie gefunden wird. Es sei denn, man hebt eines Tages irgendwelche alten Gräber aus und stellt fest, dass in einem davon zwei Leichen beigesetzt wurden. Die obere im Sarg, die untere ohne.«
    »Wie … woher willst du das wissen?« So einfach schluckt Anna Ollis Geschichte nicht.
    Olli nimmt ihr die Fotos aus der Hand, blättert sie durch und zieht dann ein Bild aus dem Stapel. Ein Mann und eine Frau – beide sind Anna völlig unbekannt – umarmen sich mit strahlendem Lächeln. Sie sehen verliebt und glücklich aus. Als Anna die beiden genauer mustert, entdeckt sie etwas Bekanntes. Eine Ähnlichkeit mit Olli. Da erkennt sie die Frau auf dem Foto.
    »Das kann doch nicht sein!«, ruft sie. »Ist das …?«
    »Ja«, nickt Olli. »Das ist meine Mutter.«
    »Und der Mann ist dieser Susiaho?«
    »Ja.«
    Anna bringt kein Wort hervor, sie starrt ungläubig auf das Liebespaar.
    »Ich weiß nicht, warum Vater und Mutter überhaupt geheiratet haben, denn ich habe sie nie glücklich miteinander erlebt. Vielleicht waren sie es irgendwann. Vor meiner Geburt. Und dann ist es schiefgegangen.«
    Olli nimmt Anna die Kette aus der Hand, betrachtet sie und kämpft gegen die Erinnerung an seine letzte Begegnung mit dem Vater, an den Moment, als er ihm die Kette aus dem Hals geschnitten hat. Inzwischen hat er das Gefühl, dass sein Vater bekommen hat, was er verdient. Dass er sich endlich auch äußerlich in das verwandelt hat, was er im Innern immer schon war. Schwarz verkohlt und verbogen.
    »Irgendwann kam offenbar Heikki ins Bild«, fährt Olli fort. »Vielleicht war er all das, was mein Vater nicht war. Dazu braucht es nicht viel. Ein ganz normaler Mann. Genau das, was meine Mutter sich gewünscht hat. Sie haben sich ineinander verliebt. Sie waren wie füreinander geschaffen, denke ich mir. Vielleicht haben sie sogar ein gemeinsames Leben geplant. Dem stand allerdings etwas im Weg.«
    Anna blickt auf.
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