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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen
Autoren: Marko Kilpi
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erreicht. Doch der kleine Schwenk genügt. Er sieht zwei kleine Gestalten, die zum Bahnhof laufen. Sein Gesicht verzieht sich zu einem zufriedenen Lächeln.
     

    Olli rückt mit jedem Schritt näher an seine Beute heran. Langsam, unaufhörlich, so deutlich, dass er sich des Sieges fast schon sicher ist. Dieses Gefühl gibt ihm zusätzliche Kraft, beflügelt ihn. Er muss beinahe lachen. Allein schon deshalb, weil nach allem, was vorgefallen ist, das Ende lächerlich einfach zu werden scheint. Nichts weiter als ein Wettrennen, das der Gegner von vornherein verloren hat.
    Ein weiches, warmes Glücksgefühl erfüllt Olli. Die Euphorie ist geradezu berauschend und hat eine besonders pikante Note, da der Gegner vor ihm offenbar erschlafft. Olli verspürt keine Müdigkeit, keine Atemnot, weder Schmerz noch Hunger oder Durst. Er spürt nichts als pure Kraft. Gerade in diesem Moment kann er alles tun und alles erreichen.
    Nur noch ein paar Schritte, dann ist er auf Reichweite an seine Beute herangekommen. Er streckt den Arm aus und macht sich bereit, den Mann zu packen. Sein Geruch steigt ihm in die Nase, der Geruch von Schweiß und Angst.
    Im selben Augenblick schiebt sich etwas Großes, Schweres mit lautem Dröhnen vor Olli und verdunkelt seine Welt. Irgendetwas schlägt ihm hart gegen die Rippen und schleudert ihn in die Luft wie einen alten Handschuh.
    Weiter weg kracht es. Eine Hupe heult und irgendetwas zischt. Dann wird es unbegreiflich still. Mitten in der Stadt, im Gedränge, inmitten einer massiven Evakuierung. Olli hört nichts als Stille und seinen eigenen Herzschlag.
    Er versucht, sich aufzurichten. Es fällt ihm merkwürdig schwer, er spürt einen stechenden Schmerz in der Seite. Dann sieht er den großen Seitenspiegel eines Wagens auf der Erde liegen und begreift, dass es dieser Spiegel war, der ihm den Schlag versetzt hat.
    Als Nächstes sieht er verwunderte und erschrockene Gesichter. Sie erscheinen ihm wie ein verworrenes Muster auf einer weit entfernten Tapete. Er dreht den Kopf und erblickt einen dampfenden, rauchenden Kleintransporter, der eine Hauswand gerammt hat. Jemand klettert vom Fahrersitz, macht ein paar unsichere Schritte und bleibt schwankend stehen.
    Olli schleppt sich näher heran. Das Gesicht des Mannes aus dem Wagen ist blutüberströmt. An der Stirn hat er einen tiefen Schnitt, die zerfetzte Haut hängt teilweise herunter. Der Mann presst eine Hand gegen die Stirn und dreht sich um. Erst jetzt erkennt Olli ihn. Es ist Ilomäki.
    Den Mann, den er gejagt hat, sieht Olli nicht. Aber einige Meter weiter liegt ein einzelner Schuh. In Ollis benommenen Kopf bohrt sich ein Gedanke, der ihm gar nicht schmeckt.
    Ilomäki scheint immer noch nicht zu begreifen, was passiert ist. Verloren steht er neben dem Wagen und sieht aus, als flehe er Olli an, ihm die merkwürdige Situation zu erklären. Olli humpelt auf ihn zu, doch ein heftiger Schmerz in der Seite wirft ihn zu Boden. Er muss liegen bleiben und sich die Seite halten. Warten, bis das Schlimmste vorbei ist. Er hat Blutgeschmack im Mund, ihm ist schwindlig. Da bemerkt er unter dem Auto ein unförmiges Bündel. Mühsam kriecht er näher heran, während über ihm lautes Jammern anhebt. Es kommt von Ilomäki, dem endlich klar wird, was geschehen ist.
    Olli entdeckt in dem Bündel ein Gesicht. Es ist bei dem Unfall seltsamerweise unversehrt geblieben, als wäre nichts passiert. Ollis Blick verfängt sich in diesem Gesicht. Es wirkt ein wenig vertrocknet. Als hätte man es in Pökellake getaucht und auf dem Schuppendach im Wind trocknen lassen. Die Gesichtszüge sind geradlinig, fast spartanisch schmal, zugleich aber auch kantig.
    Der Mann liegt wie zusammengefaltet unter dem Wagen, mit dem Rücken in Fahrtrichtung. Er war an der Hausecke direkt unter Ilomäkis Auto gerannt. Olli war ihm so dicht auf den Fersen gewesen, dass er gegen den Kotflügel des Wagens prallte und vom Spiegel getroffen wurde.
    Der Mann lebt noch. Er sieht Olli ausdruckslos an. Dann erlischt sein Blick.
    Olli betrachtet ihn noch eine Weile, bevor er sich mühsam auf den Rücken wälzt. Er fühlt sich plötzlich unendlich traurig, obwohl er dazu kaum Grund hat. Er schluchzt auf und muss gleich darauf lachen. Bricht in brüllendes, unkontrollierbares Gelächter aus, das nicht einmal der stechende Schmerz in der Seite zu dämpfen vermag. Der Mann ist seinem Dogma getreu gestorben. So, wie es das Schicksal wollte, als Folge einer seltsamen Ereigniskette, auf die zahlreiche kleine
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