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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen
Autoren: Marko Kilpi
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Umstände und Details einwirkten. Völlig ungeplant, völlig unerwartet.
    War alles nur eine Summe von Zufällen, ein verworrenes Chaos vom Anfang bis zum Ende? Gibt es überhaupt so etwas wie Chaos? Kann alles, was geschieht, tatsächlich auf das Zusammenspiel unzähliger Faktoren zurückgeführt werden, die einander in klar definierter, einem bestimmten Zweck dienender Weise beeinflussen? So, dass die Gesamtheit unausweichlich auf einen bestimmten Endpunkt zusteuert? Dann sollte man meinen, dass der Mann glücklich gestorben ist. Wenn man schon gehen muss, warum nicht genau so? Und wer hat sich letzten Endes als das Opfer erwiesen? Bei diesem Gedanken wird Ollis Lachen geradezu hysterisch, es will kein Ende nehmen.

Fünfzehntes Kapitel

    Immer noch führt die Polizeistation ihr Leben, das keinen Stillstand kennt. Eine Schicht geht, die nächste kommt. Was während einer Schicht geschieht, verlässt mit den Leuten das Haus, nur die besten Legenden bleiben und werden überliefert. Immer muss man bei null anfangen. Müßigen Gedanken darf man nicht nachhängen, denn die Arbeit wird nie fertig. Das ist traurig und tröstlich zugleich. Einerseits als hätte man nie etwas erreicht, andererseits als wäre alles noch zu erreichen.
    Ollis Rückkehr in die Polizeistation fällt in die Zeit des Schichtwechsels. Das berührt ihn kaum, denn er wird für eine Weile keine Schicht mehr übernehmen. Er hat die Absicht, nach Hause zu fahren. Sofort. Und erst wieder zurückzukommen, wenn ihm danach ist. Das muss sich einrichten lassen, nach den vielen Überstunden, die er in letzter Zeit gemacht hat. Zudem ist er wegen der gebrochenen Rippen krankgeschrieben.
    Er bleibt eine Weile vor den Fächern im Erdgeschoss stehen, sieht sich um und lässt das Leben an sich vorbeiziehen. Schnuppert die Atmosphäre, die ihm angenehm, fast anheimelnd erscheint. Da fällt ihm plötzlich etwas auf. Ein Briefumschlag, der aus seinem eigenen Fach hervorschaut. Er bückt sich und holt ihn heraus. Auf dem von Kaffeeflecken gesprenkelten Umschlag stehen sein Name und, kaum leserlich, der Name der Absenderin: Helena Susiaho.
    Olli reißt den Umschlag auf und zieht einen dicken Stapel alte Fotos heraus. Der Begleitbrief ist nur noch teilweise zu entziffern, doch aus den Fragmenten geht hervor, dass Helena möglichst viele Fotos geschickt hat, weil sie hofft, dass die Personen und Orte auf den Bildern Olli weiterhelfen.
    Infolge des Kaffeebads kleben die Fotos aufeinander. Olli muss sein Taschenmesser zu Hilfe nehmen, um sie zu trennen. Die Bilder zeigen Heikki Susiaho in verschiedenen Phasen seines Lebens, in den unterschiedlichsten Situationen und in wechselnder Gesellschaft. Olli blättert sie rasch durch, denn der Unbekannte interessiert ihn kaum noch. Eigentlich seltsam, dass auch dieser Mensch irgendwann gelebt hat und dass von seinem Leben praktisch nichts zurückgeblieben ist, gerade als hätte es ihn nie gegeben. Einen Augenblick lang fragt sich Olli sogar, welchen Zweck dieses Leben wohl gehabt haben mag.
    Plötzlich glaubt er etwas wiederzuerkennen. Es ist so unerwartet, dass er es nicht sofort begreift. Er muss zurückblättern, bis er ein bestimmtes Bild wiederfindet. Er starrt es ungläubig an, merkt, dass er erschüttert, bis ins Mark erschrocken ist. Irgendwer klopft ihm auf die Schulter und beglückwünscht ihn zu seiner großartigen Leistung, doch Olli reagiert nicht. Die Gedanken, die das Foto allmählich in ihm aufsteigen lässt, sind einfach grauenhaft. Er spürt, wie er langsam in eine Welt gezogen wird, von deren Existenz er nichts gewusst hat, die er sich nicht einmal hat vorstellen können.
    Olli gerät in Panik. Er sieht sich verstohlen um, denn er weiß, dass sein Gesicht etwas verrät, was er niemandem erklären könnte. Niemandem? Doch, einem einzigen Menschen auf der ganzen Welt.
     

    Er steht auf der Straße und betrachtet sein Reihenhaus. Die Rippen schmerzen bei der kleinsten Bewegung, und wenn er sich auch nur ein wenig reckt, kommt es ihm vor, als ob ihm ein Messer in die Flanke gestoßen würde.
    Er konnte nicht anders, er musste sich in Sicherheit bringen, an den einzigen Ort, wo er sich gefahrlos mit seinem Fund auseinandersetzen kann. Die Fahrt nach Hause war genauso lang wie immer, doch diesmal hat er die Zeit kaum wahrgenommen. Während er auf der gewohnten Strecke fuhr, hatte er das Gefühl, sein ganzes Leben zu durchqueren, alles, was ihm je geschehen war, und all das erscheint ihm nun kristallklar.
    Vorsichtig
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