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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen
Autoren: Marko Kilpi
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Chance.

Vierzehntes Kapitel

    Einige der Leute, die am Bahnhof herumstehen, schauen in die Sammonkatu hinüber, die Neugierigsten machen sich auf den Weg dorthin, während andere dem Wirbel keinerlei Beachtung schenken. Tossavainen bleibt vor der Tafel mit dem Fahrplan stehen, fährt mit dem Finger über die Zeilen, bis er das Gesuchte entdeckt. Er hat sich richtig erinnert, der Zug aus dem Norden kommt in zehn Minuten an.
    Olli wandert zwischen den Menschen, die vor dem Bahnhof stehen, hin und her und versucht, den gesuchten Mann ausfindig zu machen, von dessen Aussehen er nur eine vage Ahnung hat. Er muss sich eher auf sein Gefühl verlassen als auf seine Sinne. Darauf, was sein inneres Radarsystem ihm sagt. Aber das reagiert einfach nicht.
    Tossavainen kommt von der anderen Ecke her auf ihn zu. Olli bleibt stehen und zeigt auf das Bahnhofsgebäude. Tossavainen nickt. Daraufhin macht Olli auf den Fersen kehrt und eilt davon, verschwindet hinter der Ecke des Gebäudes.
    Tossavainen dagegen hat keine Eile. Er spaziert in aller Ruhe, die Hände tief in den Taschen vergraben, zu dem Eingang, der von den Bahnsteigen in den Bahnhof führt, und sieht sich dabei scheinbar müßig nach allen Seiten um. An der Tür angekommen, späht er durch die Glasscheibe hinein. Genau gegenüber liegt der stadtseitige Eingang. Als sich dort eine Tür öffnet und Olli hereinkommt, betritt auch Tossavainen das Gebäude.
    Der erste Blick, nichts Auffälliges. Langsam gehen sie durch die Bahnhofshalle, wobei Tossavainen die eine und Olli die andere Seite übernimmt. Sie tun, als ob sie sich nicht kennen, überprüfen schnell und unauffällig die Toiletten – Männer- und Frauenseite gleichermaßen –, das Café, die Fahrkartenschalter und Wartesäle, aber nichts sticht ihnen ins Auge. Allmählich müssen sie sich eingestehen, dass ihre Suche vergeblich ist. Vielleicht hat ihre Beute die Stadt bereits verlassen. Aber wie? Soweit sie verstanden haben, sind öffentliche Verkehrsmittel die einzige Möglichkeit, unbemerkt herauszukommen, durch das enge Netz der Polizeikontrollen in die Freiheit zu schwimmen.
    »Ich bleibe hier«, sagt Tossavainen. »Der Busbahnhof ist am anderen Ende der Bahnhofsstraße.«
    »Okay.« Olli weiß, was er zu tun hat.
    Er springt über den Zaun auf den Busparkplatz. Dort stehen Überlandbusse aufgereiht, die einen zur Abfahrt bereit, andere gerade angekommen. Olli läuft zwischen zwei Bussen auf das Bahnhofsgebäude zu. Er ist außer Atem und schweißüberströmt, denn er ist die ganze Strecke gerannt. Wegen der Polizeioperation in der Sammonkatu kommt man im Zentrum momentan zu Fuß am schnellsten voran. Als Olli aus der schmalen Gasse zwischen den beiden Bussen kommt, sieht er etwas Großes, Massives auf sich zurollen. Bremsen quietschen, die großen Reifen heulen unter der langsamer werdenden Masse auf. Olli wirft sich zur Seite, sieht das Ungetüm aber weiterhin auf sich zukommen. Vor Schreck wie gelähmt, bleibt er liegen, wo er ist, und schließt die Augen.
    Die Luftbremse schnauft laut. Die Luft, die sie ausstößt, bläst Olli Staub ins Gesicht. Als er langsam die Augen aufschlägt, sieht er unmittelbar vor sich eine schmutzige Nebellampe. Gummi- und Metallgeruch von den Reifen und Bremsscheiben dringt ihm in die Nase. Der Staub juckt in den Augen, und als Olli sie instinktiv reibt, wird das Jucken noch schlimmer. Er sieht kaum noch etwas. Dennoch rappelt er sich auf und hört, wie der erschrockene Fahrer sämtliche Flüche herausbrüllt, die er kennt, und mit der Faust gegen das Seitenfenster schlägt.
    Als Olli blinzelnd in die Halle des Busbahnhofs stolpert, spürt er, wie ihm etwas feucht über die Wange läuft. Er wischt sie ab, betrachtet seine Hand und zuckt zusammen. Die vom Staub graue linke Hand ist von einer schwarzen Flüssigkeit bedeckt. Olli wischt sich erneut über das Gesicht und diesmal sieht er Blut an seinen Fingern. Seltsamerweise spürt er jedoch keinen Schmerz im Gesicht. Endlich kommt er auf die Idee, sich seine Hand genauer anzusehen, und nun entdeckt er die Wunde in der Handfläche, die die spitzen Schottersteine auf dem Busparkplatz gerissen haben.
    »Mist«, schimpft er leise und sieht sich um. Hat er schon zu viel Aufmerksamkeit erregt?
    Es ist eine natürliche Eigenschaft des Menschen, sich für das zu interessieren, was vom Normalen abweicht. Olli mit seinem staubbedeckten und teilweise blutverschmierten Gesicht bietet zweifellos einen ungewöhnlichen Anblick. Kein Wunder
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