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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Autoren: Ines Thorn
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Kapitel 1
    Frankfurt am Main im Jahre 1462
     
    Die Turmuhr der nahen Liebfrauenkirche schlug die Mittagsstunde. Martha seufzte. Sie richtete sich auf und streckte mit einem Klagelaut den schmerzenden Rücken. Im großen, hölzernen Waschzuber vor ihr schwammen die Nachthemden des Hausherrn. Auf dem Steinboden daneben lagen mehrere Haufen Tischtücher, Unterzeug und Arbeitskittel.
    Wie gut, dass es in diesem Haushalt keine Frau gibt, deren Kleider ich auch noch waschen muss, dachte Martha und wischte sich eine schon ergraute Haarsträhne, die unter ihrer Haube hervorschaute, aus der schweißnassen Stirn.
    Seit Jahren schon kam sie an jedem Donnerstag in das Haus des Kürschnermeisters Wöhler, um die Wäsche zu besorgen. Genauso, wie sie an jedem Montag zum Kaufmann Lehrte ging, dienstags die Wäsche des Schulmeisters Hufe machte, mittwochs für den Drucker Horn wusch und freitags und samstags für die Wirtschaft «Zur goldenen Ziege» die Hände in den Waschzuber steckte.
    Im Morgengrauen spaltete sie das Holz, das sie brauchte, um das Wasser in den riesigen Kesseln über den gemauerten Kochstellen zu erhitzen. Sobald es kochte, schleppte sie, unter der Last schwankend, die glühend heißen Kessel zu den mächtigen Zubern, schüttete das Wasser hinein, gab erst Seifenlauge, dann die Wäsche hinzu, rührte, schrubbte, schlug jedes einzelne Stück, bis es sauber war. Die wenigsten Haushalte hatten Waschküchen, sodass Martha meist gezwungen war, die Wäsche sommers wie winters und bei jeder Witterung im Hof zu besorgen. Ein Tag begann wie der andere und hörte ebenso auf. Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr.
    Nur der Sonntag gehörte ihr. Manchmal, wenn sie nicht zu müde war und sich das Gliederreißen aushalten ließ, besuchte sie ihre 16-jährige Tochter Luisa, die im Dorf Hofheim am Taunus, einen halben Tagesmarsch entfernt, in einem Feldsiechenhaus die Wäsche besorgte und irgendwann die gleichen aufgerissenen, verquollenen, roten Hände haben würde wie ihre Mutter.
    Martha rührte mit einem riesigen Holzlöffel die Wäsche im Zuber um, dann holte sie damit die Kleidungsstücke einzeln heraus und warf sie in einen anderen Bottich mit klarem, kaltem Wasser, das sie eimerweise vom städtischen Brunnen herangeschleppt hatte, um die Seifenlauge herauszuspülen. Ihre Arme und Schultern schmerzten, denn die nassen Wäschestücke waren schwer, die Zuber riesig, und am Abend würde sie nicht mehr in der Lage sein, auch nur einen Finger zu rühren.
    Das Geräusch der Wäsche, die ins Spülwasser klatschte, war so laut, dass Martha das Klopfen an der Tür zunächst überhörte. Doch dann trocknete sie die Hände an ihrem Kittel ab und ging schlurfend zur Haustür.
    «Gott zum Gruße, Frau, ich bringe Nachricht für den Meister Wöhler», sagte der berittene Bote und holte einen versiegelten Umschlag aus seiner Satteltasche.
    «Der Herr ist nicht da», erwiderte Martha. «Auch die Magd ist ausgegangen. Nur die beiden Gesellen sind in der Werkstatt.»
    Der Bote musterte die Frau von oben bis unten. Er sah eine abgearbeitete, verhärmte Wäscherin unbestimmbaren Alters, deren Rücken von jahrelanger Arbeit krumm geworden war. Ihre blauen Augen blickten ihn gerade an, und ihr Gesicht hatte klare Züge. Früher war sie vielleicht sogar schön gewesen war, doch jetzt sah sie verbittert aus.
    «Dann übergebe ich Euch die Nachricht. Ihr werdet sie doch weiterleiten?», fragte er schließlich mit leisem Zweifel in der Stimme.
    Martha nickte. «Gewiss.»
    Sie streckte die Hand nach dem Umschlag aus und betrachtete ihn. Der Brief kam vom Kloster Engelthal, in das Sibylla, die Tochter des Kürschnermeisters Wöhler, nach dem Tod ihrer Mutter vor vier Jahren gegeben worden war, damit sie eine ordentliche Erziehung bekam.
    Martha steckte den Umschlag in ihre Kitteltasche, winkte dem Boten einen Abschiedsgruß zu und blieb noch ein wenig in der Tür stehen, um die milde Septemberluft zu genießen.
    Der Herbst wird bald kommen, dachte Martha und seufzte. Ihre Hände würden dann ob der Kälte noch rissiger und wunder sein, der Rücken steifer, und die Knochen würden auch nachts nicht warm werden.
    Aber noch war es spätsommerlich mild, noch schien die Sonne, wärmte Marthas Gesicht, trocknete den ewig feuchten Kittel und die roten, klammen Hände. Sie hielt sie in die Sonnenstrahlen und betrachtete sie.
    Hände, in die ein ganzes Leben eingezeichnet war. Hände, die so oft schon verbrüht oder erfroren und mit dicken,
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