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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen
Autoren: Marko Kilpi
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immer warten muss. Man hofft und wartet ja bis zuletzt.«
    »Hatte Heikki irgendwelche Probleme?«
    »Probleme?«, fragt Helena verwundert.
    »Ja. Probleme.«
    »Nein«, antwortet sie. »Darüber haben wir damals auch nachgedacht. Heikki hat andere nicht mit seinen Sorgen belastet. Ein bisschen traurig war er nur, weil er noch keine Frau hatte. Er hätte gern eine Familie gegründet. Es gab wohl ein paar, auf die er ein Auge geworfen hatte, aber darüber hat er nie gesprochen.«
    »Erinnern Sie sich, dieses Schmuckstück an Heikki gesehen zu haben?«, wagt Olli nun zu fragen und hält Helena die Kette hin.
    Sie lässt die Kette zwischen den Fingern hindurchrieseln und betrachtet das Kreuz auf ihrer Handfläche. Die Tochter tritt zu ihr. Helena dreht das Kreuz um und entdeckt die Gravur.
    »Ja, das ist seins«, bestätigt sie.
    »Sind Sie sicher?«, fragt Olli.
    »Ganz sicher. Ich habe es ihm zum dreißigsten Geburtstag gekauft«, erklärt Helena und sieht Olli verzagt an.
    Es kommt ihr unwirklich vor, den Schmuck in der Hand zu halten. Seit zwanzig Jahren der erste Beweis dafür, dass ihr Bruder je existiert hat. Wie eine Nachricht aus einer anderen Zeit, einer anderen Galaxie, die man mühsam entziffern muss. Eine Träne rinnt ihr aus dem Auge.
    »Wo haben Sie das Kreuz gefunden?«, stößt sie hervor.
    »Bei einer Hausdurchsuchung«, antwortet Olli ausweichend.
    »Bei einer Hausdurchsuchung?«, wiederholt Helena. Sie überlegt, was eine Hausdurchsuchung mit dem Verschwinden ihres Bruders zu tun haben soll.
    »Hat dieser Mann irgendeine Ähnlichkeit mit Heikki?«, fragt Olli und hält Helena das Bild der Überwachungskamera hin.
    Helena sieht Olli an. Kann das Foto, das er in der Hand hält, ihr nach all den Jahren der Ungewissheit endlich eine Antwort geben? Sie wagt es nicht, irgendeine Hoffnung aufkommen zu lassen.
    Für Olli ist dies die einzige Alternative zum Tod seines Vaters. Seiner Meinung nach gibt es nur zwei mögliche Antworten auf die Frage, wessen Leiche im Obduktionssaal liegt. Entweder ist es sein Vater oder er hat sich mit dem Schmuck geirrt. In diesem Fall hat der Mann, nach dem sie fahnden, bei der Herstellung der Brandbombe einen Fehler gemacht und von seiner eigenen Medizin kosten müssen. Tief in seinem Innern weiß Olli allerdings, dass sein Vater die einzige realistische Alternative ist. Andererseits tut er nur das, was Tossavainen ihm geraten hat. Er fragt. Alle Fragen müssen gestellt werden.
    Helena nimmt das Bild entgegen. Ihre Hände zittern ganz leicht. Sie dreht das Foto herum, schaut es aber noch nicht an, sondern hält den Blick auf Olli geheftet. Sie hofft von ganzem Herzen, gleich ihren Bruder zu sehen. Das hofft auch Olli, vielleicht sogar noch inbrünstiger als sie.
    Endlich schaut Helena auf das Foto, wagt anfangs jedoch nicht, den Kopf anzusehen. Sie beginnt mit dem Körper, lässt den Blick langsam über den langen dunklen Mantel wandern, über Arme, Brust, Schultern, hält das Foto näher an die Augen und sieht schließlich in das Gesicht des Mannes. Dann blickt sie zu Olli auf. Schüttelt nur leicht den Kopf und reicht ihm das Bild zurück. Obwohl Olli mit diesem Ergebnis gerechnet hatte, ist er enttäuscht. Vielleicht ist das Foto aber auch einfach zu unscharf, als dass man darauf einen Menschen wiedererkennen würde, den man seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat.
    »Sie haben nicht zufällig ein Foto von Heikki?«, erkundigt er sich vorsichtig.
    »Doch, natürlich«, antwortet Helena. »Die sind allerdings auf dem Dachboden. Es gab eine Zeit, in der die Sache zu schmerzhaft war«, fügt sie hinzu und meint die Zeit, als sie es nicht ertragen konnte, an ihren Bruder erinnert zu werden.
    »Wenn ich irgendwann einige bekommen könnte …?«
    »Natürlich. Wohin soll ich sie bringen?«
    »Zur Polizeistation. Sie können sie auf meinen Namen am Empfangsschalter abgeben oder auch direkt zu mir kommen.«
    »Gut, dann suche ich die Fotos heraus und bringe sie so schnell wie möglich vorbei.«
    »Vielen Dank und auf Wiedersehen.« Olli gibt Mutter und Tochter die Hand.
    »Werden Sie Heikki finden?«, fragt Helena zum Abschied.
    »Ich weiß es nicht«, gesteht Olli. »Versprechen kann ich es nicht.«
    Er würde gern noch etwas hinzufügen, doch es gibt nichts mehr zu sagen. Es tut ihm leid, dass er durch seinen Besuch ein Körnchen Hoffnung gesät hat, denn diese Hoffnung wird sich wahrscheinlich nicht erfüllen. Gerade deshalb müsste er jetzt etwas Optimistisches und
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