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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind
Autoren: Robert Holdstock
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das andere Ende des Tales zu g e winnen. Engus und Moir verließen den Weg auf der anderen Seite, so daß das Mädchen beobachten und Engus ihr erkl ä ren konnte, wie die Jagd vor sich ging. Der junge Mann war ärgerlich, weil er seine Zeit mit solchen Belehrungen ve r geuden mußte. Engus hatte immer schlechte Laune, auße r dem konnte er Elspeth nicht leiden und mißbilligte, daß sie sich an die Kolonie hera n drängte (manchmal schrie er sie an: „Was bildest du dir eigen t lich ein? Du bist doch bloß eine nue!“); daher war es Elspeth unangenehm, wenn er mit dabei war.
    „Wenn wir nicht einen von diesem Haufen fangen kö n nen“, sagte Darren und deutete auf die schlafenden Schwarzflügler, „dann müßten wir uns vor uns selbst sch ä men.“
    Auf dem Bauche liegend blickten sie in das stille Tal. Schwarzflügler jagten am frühen Nachmittag; zwei, drei Stu n den wilden Fressens und dann wieder zurück zum ‚Horst’ für den Rest des Tages und die ganze nächste Nacht, reglos hä n gend, jedoch nicht völlig ohne Bewußtsein, wie mancher e r folglose Jäger zu seinem Schaden gemerkt hatte.
    „Du brauchst deine eigene Schlinge“, sagte Darren und schlüpfte hinter einen zackigen Felsen. Elspeth kroch hi n terher, hockte sich hin und sah in die Leere der Wedelmoos-Ebene hinaus. Dunkles Land, wellige bräunliche Prärie, übe r sät mit Felsbrocken und Knäueln von Tangelkraut, das die Aerani-Jäger zu Schlingen verwenden. Es war kein b ö ses Land; es war ein unwirtliches Land, und seine Kahlheit machte Elspeth stärker schauern als die Kälte auf ihrer nac k ten Haut.
    Der Wind war abgeflaut und flüsterte nur noch. Ganz hi n ten am Weg hing noch immer ein dünner Nebelschleier, klebte am Tal und ließ nur schattenhaft erkennbar werden, daß sich dort etwas bewegte. Elspeth konnte Moirs mu r melnde Fragen h ö ren, auch ab und zu einen ärgerlichen Grunzer Engus’, der das Mädchen für ein paar Sekunden verstummen ließ. Plötzlich jedoch tönte ein anderer Laut zu ihr herüber. Moir sang.
    Überrascht und mit gespannter Aufmerksamkeit horchte Elspeth auf das Lied, das bruchstückweise über das Tal h e rüberkam; es war nicht laut, nicht schrill, nicht erschre c kend, nur eine sanfte fluktuierende Melodie, bezaubernd und sehr schön. Elspeth hatte von den Wällen des crog schon manchmal Gesang gehört – ve r schiedene Lieder mehrerer Sänger –, doch diesen Gesang, der von dem Mädchen auf dem Felsen herübe r tönte, kannte sie noch nicht.
    „Sie wird die Schwarzflügler verscheuchen, oder?“ fragte sie Darren.
    Kurz und entschieden schüttelte der junge Mann den Kopf. Er beobachtete seine Schwester mit halbzugekniff e nen Augen, den Schatten eines Lächelns um die Lippen. „Es ist ein Erd-Lied“, sagte er leise, „sie hilft uns auf ihre Art.“
    „Wie wirkt es?“
    „Es gewinnt die Erde für uns“, sagte Darren sachlich. „Die Schwarzflügler mögen es, sie denken, alles ist in Or d nung. Wir brauchen weiter nichts zu tun, als ein Weilchen den Wind zu fa n gen.“
    „Mit Gesang?“
    „Nein“, antwortete Darren empört, „nicht durch Singen. Kannst du denn das Windlied singen? Traust du es dir zu?“
    Elspeth zuckte die Achseln. „Also dann einkerben. Als Symbol.“
    „Das kann nicht einmal ich“, erwiderte der Jüngling, „j e de n falls noch nicht. Nein, wir machen ein einfaches Wind-Opfer …“ Er verstummte und sah nach oben. „Hör auf ihre Stimme.“
    Fließend, sänftigend, genau im gleichen, exakt getroff e nen Ton. Aus der Ferne beobachtete Darren sie genau, voller Stolz – voller Liebe, wie es ihr vorkam.
    Nicht weit von ihnen wuchs ein Buschen Tangelkraut. Sieben peitschenähnliche Arme zogen sich schlaff über den Boden, und nach Darrens Anweisung legte sich Elspeth über das Knäuel. Doch obwohl einer der Stränge sich ein wenig bewe g te, schien das Kraut doch im ganzen uninteressiert zu sein. Sie gingen zu einer zweiten Pflanze, und hier hatten sie mehr Glück. Als Elspeth sich bäuchlings über das Herzstück des Krautes legte, erzitterten zwei von den Strängen, wicke l ten sich um ihre Gli e der, zogen sich fest.
    „Such dir eins aus“, sagte Darren. Elspeth nahm den län g sten Strang, löste ihn vorsichtig aus dem Moos und schütte l te die zähe Muttererde von den dünnen Wurzeln. „Die Wu r zeln kannst du abbrechen.“
    „Muß das sein?“
    „Es muß nicht, aber wenn du es nicht tust, bohren sie sich in de i ne Haut.“
    „Oh.“ Vorsichtig löste
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