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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind
Autoren: Robert Holdstock
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vertrocknenden Sekunden. Be i nahe einhundert Stunden. Seit fast einhundert Stunden war sie auf festem Boden.
    Lange bevor sie den Orbit des Aeran erreicht hatte, war ihr klar gewesen, daß ihr Aufenthalt auf dem Planeten b e grenzt sein mußte, oder … nun, es war und blieb unwah r scheinlich und phantastisch, so grauenvoll überzeugend es auch sein mochte, so erschreckend es war, was sie mit eig e nen Augen gesehen hatte. (Weißt du noch – Austin, der seine Angst, se i ne schleichende Zerstörung hinausschrie, ein Geisteskranker, von dem verzweifelten Wunsch erfüllt, sich an den Rest de s sen zu klammern, was er einmal gewesen war …?)
    Sie hatte sich dieses willkürliche Limit von hundert Stu n den g e setzt. Länger durfte sie keinesfalls bleiben, wollte sie dem entg e hen, was Austin kaputtgemacht hatte. Sie war über zwei Sta n dardmonate im Orbit gewesen, hatte ein paar Stunden in den Ausläufern des crog verbracht, oder war z u sammen mit ‚festen Paaren’ auf Jagdausflügen gewesen; doch jetzt (und das war ein Gunstbeweis) befand sie sich schon einen vollen A e ran-Tag auf dieser winzigen Lichtung, nackt bis auf ein Paar Mokassins und einen Ledergürtel, an dem ein roh zurechtgeschnitztes Knoche n messer hing. Das gehörte zur Vorbereitung auf ihre erste Jagd, bei der sie den ersten Begriff von diesem fremden Ritual b e kommen würde. Und damit hatte sie ihre gesetzte Zeit fast au f gebraucht. Zehn Sekunden – mit wac h sendem Schrecken sah sie zu, wie die letzten Augenblicke der Sicherheit verflogen.
    Fünf Sekunden – die Stimmen Darrens und der anderen wu r den lauter. Zwei Sekunden – sie schüttelte den Kopf, griff nach der Uhr und löste sie vom Handgelenk.
    Hundert Stunden waren gekommen und gegangen. Sie riß sich die Uhr vom Arm, schleuderte sie von sich, tief in den Busch, setzte sich zitternd hin und wartete auf ihre Freunde.
    Gewiß fühlte sie sich nicht anders als vorher, abgesehen davon, daß sie nun völlig dem Tod anheimgegeben war. Nicht dem Tod im physischen Sinne; sie wußte recht gut, daß dieser Tod immer gegenwärtig ist, daß sie von dem A u genblick, da sie aus dem Mutterleib herausgeschlüpft war, erst langsam, dann schneller und immer schneller den Weg zur Verwesung hinabglitt. Nicht diesen Tod, sondern den Tod alles dessen, was sie gewesen war, was sie jetzt war, was sie einst zu we r den gehofft hatte. Wieviel Zeit ihr noch verblieb, wußte sie nicht. Sie hatte nicht herausb e kommen, wie lange Austin auf dem Aeran gewesen war, ehe er mer k te, was mit ihm geschah. Dieser willkürlich angesetzte Zei t raum war ohne jede Grun d lage. Selbst hundert Stunden konnten schon zuviel sein. Doch das Überschreiten dieses selbstgesetzten Limits bedeutete, daß sie sich der Vertilgung anheimgegeben hatte, und sie hatte es so leichten Herzens, so ganz ohne Reue getan. Sie würde ihre eigene Vergange n heit sehr sorgfältig beobachten und ihr Verblassen genau e stens registrieren.
    Elspeth kroch unter dem primitiven Schutzschirm hervor, reckte sich zu voller Höhe und streckte die Glieder. Kälte, Feuchtigkeit, Beengtheit störten sie nicht, das hatte sie sehr bald gemerkt. Das nächtliche Leben des Waldes war lästig, und ihre Unterschenkel waren voller weißer Blasen: Dort ha t ten Gelbstecher während ihres leichten Schlummers an ihr gesogen. Die Blasen kamen nicht von den Bissen, so n dern von der Immunreaktion ihres Körpers auf die pei t schenförmigen Parasiten, welche die Gelbstecher ihr injiziert hatten. Keiner war sehr tief ins Körpergewebe eingedru n gen. Der Schmerz in ihren Muskeln verging schnell; was blieb, war der ganz natürliche, permanente Schmerz ihrer Bei n wunde.
    Wie Elspeth Mueller so zur vollen Höhe ausgereckt d a stand, maß sie über sechs Fuß und war einen halben Kopf größer als Darren, der für einen Aerani ziemlich groß war. Daß sie größer war als er, beeinträchtigte ihre Beziehung in keiner Weise. Damals, vor vielen Wochen, hatte sie dem jungen Jäger genau erklärt, wer sie war und woher sie kam, und obwohl es den Diskussionen über ihren ethnischen U r sprung ein Ende setzte, glaubte sie dann, es könnte ein Fe h ler gewesen sein und den Aufbau kultureller B e ziehungen stören. Doch der crog hatte sich bald an ihre Größe g e wöhnt.
    Für die Männer des Aeran war ihre dunkelbraune Haut sex u ell unattraktiv; sie machten sich über ihre Hautfarbe lustig. Darren jedoch blieb nicht an dieser Äußerlichkeit hängen; für ihn war sie nicht
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