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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind
Autoren: Robert Holdstock
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nannte er sie, und diesen Namen hatte er ihr aus R e spekt und Zuneigung gegeben. Und seit kurzem sagte er ‚meine Steinfrau’.
    Sie lächelte bei dem Gedanken und blickte durch den weiten Ei n schlupf ihres Schlafschirms auf die riesigen, feuchten W e del der Blaurindenbäume, die schlaff im dichten Wald hingen, den Frü h nebel aufsogen und in dem kaum spürbaren Wind, der im Laubdach wie in einem Filter hä n genblieb, leise schwan k ten. Eine Fremde zu lieben, sich mit einer nue, einer Jenseitlerin zusa m menzutun, mit einer nackthäutigen, schwarzhäutigen Fremden von jenseits der Luft und des Himmels …
    Und wie würde es sich auf sein Ansehen im crog auswi r ken? Welche Gedanken schwirrten durch die rauchige Luft hinter j e nen Erdwällen?
    Die meisten hatten es hingenommen, die Ältesten, der Seher, die Erd-, Wind- und Steinsänger; sie hatten es jede n falls nicht ger a dezu verwerflich gefunden.
    Geräusche: der Wind hoch überm Wald, der in Wirklic h keit durch die verfilzten grünen und rosafarbenen Gewächse gar nicht bis nach unten drang; das leise Zischen der Lich t sam m ler-Ranken, spielend wie züngelnde Schlangenzungen hoch überm Laubdach.
    Geräusche: das Schnattern der skitch, die für eine Stunde oder so von der Windung des Flusses herüberkamen und g e wisse saftige ‚Würmer’ suchten, die während der Nacht in das warme Unterholz heraufkamen, bis Kühle und Morge n röte sie wieder in den moosigen Boden zurücktrieben.
    Geräusche: das explosionsartige Keuchen eines gup, der rückwärts von Ast zu Ast hüpfte, auf der Flucht vor irgen d einem unsichtbaren Schrecknis, einer plattzähnigen Schlin g pflanze vie l leicht oder einem Schnappdrachen (jawohl, Schnappdrachen; sie konnte das stakkatierte Schnappen di e ser schleimigen Monstren hören, eines ganzen Schwarmes, stellte sie sich vor, der durch den Blaurindenbaum strich und alles verschlang, was in diesem ‚Baum’ wohnte).
    Etwas später mischte sich ein neuer Laut in diese Sy m phonie fremdartiger Waldgeräusche. Stimmen – Plappern und Lachen eines Mädchens, zorniges Grunzen eines Ju n gen. Sie waren nicht so nahe, wie es den Anschein hatte; die Blaurindenwedel mit ihrer speziellen Leitfähigkeit trugen die Waldgeräusche meile n weit. Die Gruppe konnte Meilen entfernt sein, kam vie l leicht gerade aus dem crog, freudig erregt von der Aussicht auf einen Ganztags-Jagdausflug den Fluß hinunter oder in die scree-Ebene vor dem Marschland.
    Elspeth streckte die Beine aus, so daß ihre Füße aus dem schü t zenden Schlafschirm hervorsahen. Strömend rann das Blut von der klaffenden Wunde in das Moos, das wie ein dicker schwammiger Teppich den Boden der Lichtung dec k te. Und wie ein Schwamm absorbierte das Wedelmoos die seltsame fremde Flü s sigkeit, so daß keine Spur zurückblieb als der Geruch nach rohem Fleisch.
    Bin ich rohes Fleisch? Für ein Tier ist jedes andere Tier nur eben das – lebendes, rohes Fleisch, Blut schmeckt wie Fleisch. Ich schmecke wie Blut. Natürliches, lebendes, pu l sierendes Fleisch, nach Verwesung stinkend. Ich bin Verw e sung. Wie sel t sam.
    Und sie starrte auf die schmerzende Wunde an ihrem nackten Körper, an dem etwas fehlte.
    Merkwürdig. Es ist so lange her, daß …
    Ihr Schiff, ein treuer Diener, ein segelnder Stern unter Ste r nen, so hoch über ihr – jahrelang hatte das Schiff sie beschützt, Schmerzen, Wunden, Krankheiten von ihr a b gehalten. Sie hatte fast ve r gessen, was es heißt, normal zu funktionieren. Zum erstenmal in ihrem Leben als Erwachs e ne wußte sie jetzt, was es heißt, ganz Mensch zu sein.
    Wo bleibt dieses Jungvolk?
    Sie konnte ihre Stimmen hören, die schwebend durch den stillen Dschungel widerhallten. Sie rannten durch den Nebel, folgten instinktiv dem ungebahnten Pfad bis zu der kleinen Lichtung, wo Elspeth und Darren das Schlafzelt gebaut ha t ten. Es hörte sich an, als seien sie erregter als sonst, vie l leicht weil heute der Tag war, an dem sie der Jenseitlerin, ihrer seltsamen haarlosen Freundin (und der ‚festen Frau’ Darrens, des ältesten der drei Jünglinge) zeigen wollten, wie man Schwarzflügler mit der Schlinge fängt.
    So viele Stunden hatte sie auf diesen Augenblick gewa r tet, so viele verzweifelte Stunden …
    Plötzlich fiel ihr ein, wie lange sie schon auf dem Aeran war, und ihr Herz setzte aus. Sie blickte auf die winzige Uhr, die sie i m mer noch am linken Handgelenk trug. Die grünen Ziffern wec h selten flackernd und zählten die
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