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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin
Autoren: Silke Schütze
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allein oder mit Hubertus und Theo da ist, wird es ihr besser gehen. Mit Hubertus ist Mama immer viel entspannter. Sie macht sich doch dauernd Gedanken, ob es mir gutgeht. Ob ich unter der Trennung gelitten habe. Ob ich krank werde.« Sie räuspert sich und fügt fast flüsternd hinzu: »Und ob ich Papas Tod verkrafte.«
    Draußen im Flur ist Gelächter zu hören. Hier im Zimmer ist es still.
    »Sie macht sich eben Sorgen, weil sie dich liebhat.«
    Mia beugt sich zur Seite und knipst nun doch die kleine Lampe auf dem Nachttisch an. Sie sieht mich mit glänzenden Augen an.
    »Ich habe sie doch auch lieb! Aber diese Sorgen sind schrecklich. Ich bekomme Kopfschmerzen davon. Ich bin schließlich schon groß.«
    Ich sehe sie an, den schmalen Oberkörper, die dünnen Arme, die noch immer kindhafte Erscheinung. Ihre Tapferkeit bricht mir fast das Herz. Ich unterdrückte den Impuls, sie wie ein kleines Mädchen auf den Arm zu nehmen. Stattdessen versuche ich, das Zittern in meiner eigenen Stimme zu unterdrücken, und frage: »Warum willst du denn nicht mitkommen? Und wann hast du dich dazu entschieden?«
    Mia beugt sich vor und kratzt an einem Mückenstich am rechten Daumen. »An dem Tag, als Mama mir gesagt hat, dass er gestorben ist.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich möchte nicht dabei sein, wenn sie seine Asche verbuddeln.« Sie erschaudert. »Dass Papa in einer Urne ist, kann ich mir nicht vorstellen. Eingesperrt wie ein Geist in der Flasche. Au!« Sie hat das Schorfstückchen am Daumen abgerissen und sieht jetzt zu, wie sich ein kleiner Blutstropfen bildet. Sie steckt den Finger in den Mund. Als sie ihn wieder herauszieht und begutachtet, sagt sie: »Papa hatte zwei Lieblingsorte – die Galerie und den Strand an der Elbe, draußen im Wind. Was meinst du, warum dieses große Wasserbild im Eingang hängt? Selbst wenn er in der Galerie war, wollte er lieber da draußen sein.« Ich halte ihr ein Papiertaschentuch hin, das ich in meiner Hosentasche finde. Sie wickelt ihren Daumen darin ein. »Schon als ich klein war, ist er mit mir immer an die Elbe gefahren. Wir sind zu einem Café, der ›Strandperle‹, gelaufen, und dort habe ich gebuddelt und geplanscht. Das war toll. Ein bisschen wie verreisen.« Sie wischt sich ein paar Haare aus der Stirn. »Papa würde nicht eingesperrt sein wollen. So im Dunkeln. In einer Urne.« Sie schüttelt sich.
    Ich nicke. »Das kann ich verstehen. Aber so läuft das nun mal: Tote müssen beerdigt werden. Da gibt es nicht so viele Möglichkeiten.«
    Ich zwinge mich zu einem sachlichen Ton.
    Mia ist jedoch noch mit ihren Erinnerungen beschäftigt. »Später sind wir manchmal in eines der Restaurants dort gegangen. Da gab es Essen, wie meine Oma es manchmal kocht, Bratfisch und Kartoffeln mit Petersilie drauf und so.« Sie kichert. »Papa hat mich damit aufgezogen, dass ich gesagt habe: ›Kartoffeln mit Gras esse ich nicht.‹«
    Mich durchzuckt eine Erinnerung. »Das Övelgönner Fährhaus?«
    Mia nickt begeistert. »Övelgönner Fährhaus. Genau. Ich fand das so toll, weil ich da mal bei einem Buchstabenspiel gewonnen habe. Ich kannte nämlich ein Wort mit zwei Ö: Övelgönne.«
    Jetzt sehe auch ich Daniel vor mir, wie er mit Mia im Övelgönner Fährhaus sitzt. Dann schiebt sich ein anderes Bild davor: Daniel, wie er mir auf Tante Hedwigs Geburtstag seine Hand entgegenstreckt. Beide Bilder verschwimmen zu einem, und am Ende bleiben nur noch Daniels Augen – fragend, lächelnd und strahlend. Die Augen von Mia.
    »Kannst du es Mama sagen?«, reißt Mia mich aus meinen Gedanken.
    »Was?«
    »Dass ich nicht mitkomme?«
    Ich schüttle den Kopf und lege ihr vorsichtig die Hand auf das Knie.
    »Mia, das kannst nur du selbst tun. Sie wird Verständnis dafür haben.«
    »Meinst du?«
    »Wenn du völlig normal mit ihr redest und nicht zickig bist, bestimmt. Aber solch ein Abschied ist ein wichtiger Tag – vielleicht bist du später traurig, wenn du nicht dabei warst«, gebe ich zu bedenken.
    »Aber ich werde sowieso nie zu seinem Grab gehen.«
    »Und wohin gehst du, um an ihn zu denken?«
    Ihre Antwort kommt prompt. »An die Elbe, ich setze mich an den Strand und gucke den Schiffen nach. So wie mit Papa.«
    Ich lege meinen Arm um sie. »Das ist eine gute Idee! Und wenn du Alexandra sagst, dass du auch an einem anderen Ort an deinen Papa denken kannst, tröstet sie das vielleicht.«
    Mia lehnt ihren Kopf an meine Schulter. Wir schweigen und hören der Musik und den Partygeräuschen einen Moment
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