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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da
Autoren: Timur Vermes
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Ich diktiere ihn sogleich in den Apparat.
    Draußen im Flure haben sie eine umfangreiche Weihnachtsdekoration angebracht. Sterne, Tannenzweige und dergleichen mehr. An den Adventssonntagen gibt es Glühwein, der inzwischen auch in einer sehr angenehmen alkoholfreien Variante entwickelt worden ist, wenngleich ich meine Zweifel habe, ob derlei jemals in der Truppe akzeptiert sein wird. Nun gut, Landser bleibt Landser. Insgesamt jedoch kann ich nicht behaupten, dass die Weihnachtsdekorationen geschmackvoller geworden wären. Hier hat doch eine recht unerfreuliche Industrialisierung Einzug gehalten. Es geht mir nicht um Kitsch oder Nichtkitsch, denn in jedem Kitsch steckt immer auch ein Rest des Empfindens des einfachen Mannes, und von daher ist dabei stets noch die Möglichkeit einer Entwicklung zu wahrer, großer Kunst gegeben. Nein, was mich doch reichlich stört, ist, dass der Weihnachtsmann unverhältnismäßig an Bedeutung gewonnen hat, zweifellos infolge angloamerikanischer Kulturinfiltration. Die Kerze hingegen hat deutlich an Bedeutung verloren.
    Möglicherweise kommt es mir auch nur so vor, weil man hier im Krankenhause Kerzen nicht zulässt, aus feuerpolizeilichen Gründen. Und sosehr ich den sorgsamen Umgang mit Volkseigentum zu schätzen weiß, ich kann mich nicht erinnern, dass unter meiner Regierung trotz der freizügigen Verwendung von Kerzen nennenswerte Mengen von Gebäuden beschädigt worden wären. Aber ich gebe zu: Ab 1943 ist die Statistik da natürlich wegen der allgemein zunehmenden Ermangelung von Gebäuden auch von schwindender Aussagekraft. Dennoch hat so ein Weihnachten einen eigenen Reiz. Frei von der Last der langfristig unvermeidlichen Regierungsverantwortung, das soll man genießen, solange es noch geht.
    Ich kann sagen, dass das Personal sich ausgesprochen um mich bemüht. Ich spreche viel mit ihnen, über ihre Arbeitsbedingungen, über das Sozialwesen, das – wie ich mehr und mehr erfahre – in einem Zustand ist, dass man sich wundern muss, dass überhaupt noch Menschen geheilt werden können. Häufig kommen auch Mediziner zu mir. Sie haben dann den Kittel abgelegt und erzählen mir neue Dreistigkeiten vom derzeitigen unfähigen Darsteller des Gesundheitsministers. Sie sagen, dass sie von seinem Vorgänger genauso üble Unsinnigkeiten schildern könnten, und von seinem Nachfolger würden sie es mit Sicherheit auch können. Ich solle es in meiner Sendung klar ansprechen, es müsse sich unbedingt etwas ändern, unbedingt! Ich verspreche ihnen, mich bald mit ganzer Kraft dafür einzusetzen. Manchmal sage ich ihnen, dass es schon viel helfen würde, wenn weniger Ausländer hier in den Stationen behandelt würden. Dann lachen sie und sagen, so könne man es natürlich auch sehen, sagen kurz darauf »aber Spaß beiseite« und erzählen mir die nächste Ungeheuerlichkeit. Daran scheint es wirklich nicht zu mangeln.
    Es gibt da im Übrigen auch eine ganz reizende Schwester, eine feurige Person, aufgeweckt, fröhlich, Schwester Irmgard heißt sie, um genau zu sein – aber ich muss hier eindeutig meine Kräfte einteilen. Wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, vielleicht …
    Herr Sawatzki war gerade hier mit dem Fräulein Krömeier, dem ehemaligen Fräulein Krömeier natürlich, ich kann mich noch immer nicht so ganz daran gewöhnen: Frau Sawatzki. Vom bevorstehenden frohen Ereignis ist sie mittlerweile schon reichlich kugelrund. Sie sagt, es gehe noch, aber lange könne es nicht mehr dauern, bis ihr der Bauch ziemlich zur Last falle. Sie hat ein wenig Farbe bekommen – oder ein wenig Farbe weggelassen, das zu durchschauen fällt mir noch immer schwer. Ich muss aber sagen, dass beide fabelhaft zusammenpassen, und wenn sie sich ansehen, weiß ich, dass da in neunzehn, zwanzig Jahren einige stramme Grenadiere heranwachsen werden, einwandfreies Genmaterial für die Waffen- SS und später für die Partei. Sie haben mich gefragt, wo ich Weihnachten verbringe, und mich eingeladen, was mich außerordentlich freut, aber ich denke nicht, dass ich die beiden behelligen werde. Weihnachten ist ein Fest der Familie.
    »Aber Sie gehören doch praktisch zur Familie!«, hat das Fräulein – hat Frau Sawatzki gesagt.
    »Momentan«, habe ich gesagt, weil Schwester Irmgard gerade hereinkam, »momentan ist Schwester Irmgard meine Familie.«
    Schwester Irmgard hat gelacht und gesagt: »So weit kommt’s noch. Ich sehe hier nur kurz nach dem Rechten.«
    »Dem geht’s gut«, habe ich geschmunzelt, und sie hat
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