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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da
Autoren: Timur Vermes
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auch hier irgendwo herum, dann siegte die Disziplin, die Logik, ich erfasste rasch die Eigenwilligkeit der Lage. Ich kampiere üblicherweise nicht unter freiem Himmel.
    Zuerst überlegte ich: Was hatte ich am Vorabend getan? Über unmäßigen Alkoholkonsum brauchte ich mir keine Gedanken machen, ich trinke ja nicht. Ich erinnerte mich, zuletzt mit Eva auf einem Sofa gesessen zu haben, auf einem Plumeau. Ich erinnerte mich auch, dass ich oder wir dort in einer gewissen Sorglosigkeit saßen, ich hatte meines Wissens beschlossen, die Staatsgeschäfte einmal ein wenig ruhen zu lassen, wir hatten keine weiteren Pläne für den Abend, Essen gehen oder Kino oder dergleichen kam selbstverständlich nicht infrage, das Unterhaltungsangebot der Reichshauptstadt war zu diesem Zeitpunkt, nicht zuletzt auch meinem Befehl gemäß, bereits erfreulich ausgedünnt. Ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob in den folgenden Tagen Stalin in die Stadt kommen würde, es war zu diesem Zeitpunkt des Kriegsverlaufs nicht vollständig auszuschließen. Was ich aber mit Sicherheit sagen konnte, war, dass er hier so vergeblich nach einem Lichtspieltheater gesucht haben dürfte wie in Stalingrad. Ich glaube, wir hatten dann noch ein wenig geplaudert, Eva und ich, und ich hatte ihr meine alte Pistole gezeigt, weitere Details waren mir bei meinem Erwachen nicht geläufig. Auch weil ich unter Kopfschmerzen litt. Nein, die Erinnerung an den Vorabend brachte mich hier nicht weiter.
    Ich entschloss mich also, das Heft des Handelns zu ergreifen und mich mit meiner Situation näher auseinanderzusetzen. In meinem Leben habe ich gelernt, zu beobachten, zu betrachten, auch oft kleinste Dinge wahrzunehmen, die mancher Studierte gering schätzt, ja ignoriert. Ich hingegen kann dank jahrelanger eiserner Disziplin von mir ruhigen Gewissens sagen, ich werde in der Krise kaltblütiger, noch überlegter, die Sinne werden schärfer. Ich arbeite präzise, ruhig, wie eine Maschine. Ich fasse methodisch zusammen, was ich an Informationen habe: Ich liege auf dem Boden. Ich sehe mich um. Neben mir lagert Unrat, es wächst Unkraut, Halme, hier und da ein Busch, auch ein Gänseblümchen ist dabei, Löwenzahn. Ich höre Stimmen, sie sind nicht zu weit entfernt, Schreie, das Geräusch fortgesetzten Aufprallens, ich sehe in die Richtung der Geräusche, sie rühren von einigen Buben her, die dort Fußball spielen. Es sind keine Pimpfe mehr, für den Volkssturm wohl noch zu jung, sie sind vermutlich in der HJ , aber offensichtlich derzeit nicht im Dienst, der Feind scheint eine Ruhephase eingelegt zu haben. Ein Vogel bewegt sich im Geäste eines Baumes, er zwitschert, er singt. Für manchen ist das nur ein Zeichen heiterer Laune, aber in dieser ungewissen Lage, angewiesen auf jede Information, und mag sie noch so klein sein, kann der Kenner der Natur und des alltäglichen Überlebenskampfes daraus folgern, dass keine Raubtiere anwesend sind. Direkt neben meinem Kopfe befindet sich eine Pfütze, sie scheint im Schrumpfen begriffen, es hat wohl vor längerer Zeit geregnet, seither aber nicht mehr. An ihrem Rand liegt meine Schirmmütze. So arbeitet mein geschulter Verstand, so arbeitete er auch in diesem irritierenden Momente.
    Ich setzte mich auf. Es gelang mir problemlos, ich bewegte die Beine, die Hände, die Finger, ich schien keine Verletzungen zu haben, der körperliche Zustand war erfreulich, ich war wohl vollständig gesund, von den Kopfschmerzen einmal abgesehen, sogar das Zittern meiner Hand schien fast völlig nachgelassen zu haben. Ich sah an mir herab. Ich war bekleidet, ich trug die Uniform, den Rock des Soldaten. Er war etwas schmutzig, wenn auch nicht zu sehr, verschüttet war ich also nicht gewesen. Erde befand sich darauf, wie mir schien auch Krumen von Gebäck, Kuchen oder dergleichen. Der Stoff roch stark nach Treibstoff, vielleicht Benzin, es mochte daher rühren, dass Eva möglicherweise versucht hatte, meine Uniform zu reinigen, allerdings mit übertriebenen Mengen Reinigungsbenzin, man hätte meinen können, sie hätte einen ganzen Kanister über mich gekippt. Sie selbst war nicht da, auch sonst schien mein Stab derzeit nicht in der Nähe. Ich klopfte den gröbsten Schmutz von meinem Rocke, von meinen Ärmeln, als ich eine Stimme vernahm.
    »Ey, Alter, kiek ma!«
    »Ey, wat’n det für’n Opfa?«
    Ich schien einen hilfsbedürftigen Eindruck zu machen, das hatten die drei Hitlerjungen vorbildlich erkannt. Sie beendeten ihr Fußballspiel, näherten sich
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