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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da
Autoren: Timur Vermes
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aufsetzend. Der feuchte Lappen fiel mir unschön in den Schoß.
    Der Mann sah mich stirnrunzelnd an.
    »2011«, sagte er und musterte meinen Rock, »was haben Sie gedacht? 1945?«
    Ich suchte nach einer passenden Entgegnung, richtete mich dann aber lieber auf.
    »Sie sollten vielleicht noch etwas liegen bleiben«, sagte der Mann, »oder sich hinsetzen. Ich habe einen Sessel im Kiosk.«
    Ich wollte zunächst sagen, dass ich für Entspannung keine Zeit hatte, musste aber einsehen, dass meine Beine noch zu sehr zitterten. Also folgte ich ihm in seinen Kiosk. Er selbst nahm auf einem Stuhl in der Nähe des kleinen Verkaufsfensters Platz und sah mich an.
    »Ein Schluck Wasser? Brauchen Sie etwas Schokolade? Einen Müsliriegel?«
    Ich nickte, benommen. Er stand auf, holte eine Flasche Sprudel und goss mir davon in ein Glas. Aus einem Regal nahm er einen bunten Riegel, wohl eine Art eiserner Ration, in farbige Folie gehüllt. Er öffnete die Folie, entblößte etwas, das aussah wie industriell verpresstes Korn, und drückte es mir in die Hand. Die Versorgungsengpässe mit Brot schienen noch nicht behoben.
    »Sie sollten mehr frühstücken«, sagte er. Dann setzte er sich wieder hin. »Drehen Sie hier irgendwo?«
    »Drehen …?«
    »Na, eine Dokumentation. Einen Film. Hier wird ja ständig irgendwas gedreht.«
    »Film …?«
    »Mensch, Sie sind ja ganz schön beieinander.« Er lachte und wies mit der Hand auf mich. »Oder laufen Sie immer so herum?«
    Ich sah an mir herab. Ich konnte nichts Ungewöhnliches feststellen, natürlich abgesehen von dem Staub und dem Benzingeruch.
    »Eigentlich schon«, sagte ich.
    Es konnte freilich sein, dass ich im Gesichte verletzt war. »Haben Sie einen Spiegel?«, fragte ich.
    »Sicher«, sagte er und zeigte darauf, »neben Ihnen, gleich über dem ›Focus‹.«
    Ich folgte seinem Finger. Der Spiegel war orangefarben gerahmt, »Der Spiegel« hatte er sicherheitshalber darauf geschrieben, als ob man es sonst nicht gewusst hätte. Er steckte mit dem unteren Drittel zwischen irgendwelchen Magazinen. Ich sah hinein.
    Mein Spiegelbild sah überraschend tadellos aus, sogar mein Rock wirkte gebügelt – vermutlich herrschte im Kiosk ein schmeichelhaftes Licht.
    »Wegen der Titelstory?«, fragte der Mann. »Die haben doch auf jedem dritten Heft so eine Hitlergeschichte. Ich glaube, Sie müssen sich nicht noch intensiver vorbereiten. Sie sind gut.«
    »Danke«, sagte ich abwesend.
    »Nein, wirklich«, meinte er, »ich habe den ›Untergang‹ gesehen. Zweimal. Bruno Ganz, der Mann war exzellent, aber an Sie kommt er nicht ran. Die ganze Haltung … man könnte meinen, Sie wären es.«
    Ich blickte auf: »Ich wäre was?«
    »Na, als wären Sie der Führer.« Dabei hob er beide Hände, er legte Mittel- und Zeigefinger jeweils zusammen, krümmte sie vornüber und zuckte mit ihnen zweimal auf und ab. Ich mochte es kaum glauben, aber es schien so, dass dies nach sechsundsechzig Jahren alles war, was vom einstmals strammen Deutschen Gruß noch existierte. Es war erschütternd, aber immerhin ein Zeichen, dass mein politisches Wirken zwischenzeitlich nicht vollkommen folgenlos geblieben war.
    Ich klappte den Arm zurück, den Gruß erwidernd: »Ich bin der Führer!«
    Er lachte wieder: »Wahnsinn, das wirkt so natürlich.«
    Ich konnte mich mit seiner penetranten Heiterkeit nicht recht befassen. Mir wurde meine Lage nach und nach bewusst. Wenn dies kein Traum war – und dafür dauerte es deutlich zu lange –, dann befand ich mich tatsächlich im Jahre 2011. Dann war ich also in einer Welt, die mir völlig neu war, und ich musste annehmen, dass ich umgekehrt auch für diese Welt ein neues Element darstellte. Wenn diese Welt auch nur ansatzweise logisch funktionierte, dann erwartete sie von mir, entweder 122 Jahre alt zu sein oder, was wahrscheinlicher war, seit Langem tot.
    »Spielen Sie auch andere Sachen?«, fragte er. »Habe ich Sie schon mal gesehen?«
    »Ich spiele nicht«, antwortete ich, wohl etwas barsch.
    »Natürlich nicht«, sagte er und machte ein merkwürdig ernstes Gesicht. Dann zwinkerte er mir zu. »Wo treten Sie auf? Haben Sie ein Programm?«
    »Selbstverständlich«, entgegnete ich, »seit 1920! Sie werden als Volksgenosse ja wohl die 25 Punkte kennen.«
    Er nickte eifrig.
    »Trotzdem, ich hab Sie noch nirgends gesehen. Haben Sie einen Flyer? Oder eine Karte?«
    »Leider nein«, sagte ich betrübt, »die Karte ist im Lagezentrum.«
    Ich versuchte mir darüber klar zu werden, was
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