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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da
Autoren: Timur Vermes
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ich als Nächstes tun musste. Es schien einleuchtend, dass auch in der Reichskanzlei, dass selbst im Führerbunker ein 56-jähriger Führer auf Unglauben stoßen konnte, ja sicher stoßen würde. Ich musste Zeit gewinnen, meine Optionen analysieren. Ich brauchte eine Bleibe. Mir wurde plötzlich schmerzlich bewusst, dass ich keinen Pfennig Geld in der Tasche hatte. Für einen Moment erinnerte ich mich unangenehm an die Zeit im Männerwohnheim, 1909. Sie war notwendig gewesen, gewiss, sie hatte mir Einblicke verschafft, wie sie keine Universität der Welt vermitteln kann, und dennoch, es war diese Phase der Entbehrungen keine Zeit gewesen, die ich genossen hätte. Die finsteren Monate schossen mir durch den Kopf, die Missachtung, die Geringschätzung, die Unsicherheit, das Bangen um das Nötigste, das trockene Brot. Grüblerisch, abwesend biss ich in das seltsame Folienkorn.
    Es schmeckte erstaunlicherweise süß. Ich musterte das Produkt.
    »Ich mag die auch«, sagte der Zeitungskrämer, »wollen Sie noch einen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte jetzt größere Probleme. Es galt, das schlichteste, das primitivste tägliche Auskommen zu sichern. Ich brauchte Unterkunft, etwas Geld, bis ich weitere Klarheit gewonnen haben würde, ich brauchte vielleicht eine Arbeit, wenigstens vorübergehend, bis ich wusste, ob und wie ich wieder meine Regierungstätigkeit würde aufnehmen können. Bis dahin war eine Form des Broterwerbs nötig. Vielleicht als Maler, vielleicht in einem Architekturbüro. Selbstverständlich war ich mir fürs Erste auch nicht zu schade zu körperlicher Arbeit. Natürlich wären meine Kenntnisse für das Deutsche Volk bei einem Feldzug vorteilhafter eingesetzt gewesen, aber in Unkenntnis der aktuellen Lage war das illusionär. Ich wusste ja nicht einmal, mit wem das Deutsche Reich überhaupt gerade eine gemeinsame Grenze hatte, wer sie zu verletzen suchte, gegen wen man zurückschießen konnte. Insofern musste ich mich wohl zunächst mit dem Einbringen der Fähigkeiten meiner Hände bescheiden, vielleicht beim Bau eines Aufmarschgeländes oder eines Autobahnabschnitts.
    »Jetzt mal im Ernst«, drang die Stimme des Zeitungskrämers an mein Ohr. »Sie sind noch Amateur? Mit der Nummer?«
    Das wiederum fand ich reichlich flegelhaft. »Ich bin kein Amateur!«, beschied ich ihm mit Nachdruck. »Ich bin doch keiner von diesen bürgerlichen Faulpelzen!«
    »Nein, nein«, beschwichtigte der Mann, der mir im Grunde seines Herzens recht ehrlich zu scheinen begann. »Ich meine, was machen Sie denn beruflich?«
    Tja, was machte ich beruflich? Was sollte ich angeben?
    »Ich … ich habe mich momentan etwas … zurückgezogen«, umschrieb ich vorsichtig meine Lage.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch«, eiferte der Krämer, »aber wenn Sie wirklich noch nicht … das ist doch unglaublich! Ich meine, hier kommen öfter welche vorbei, die ganze Stadt ist voller Agenturen, voller Filmfritzen, Fernsehfiguren, die freuen sich immer über einen Tipp, über ein neues Gesicht. Und wenn Sie keine Karte haben – ich meine, wo erreiche ich Sie denn? Haben Sie eine Telefonnummer? E-Mail?«
    »Äh …«
    »Oder wo wohnen Sie?«
    Damit traf er einen wahrlich wunden Punkt. Andererseits schien er nichts Unehrenhaftes im Schilde zu führen. Ich beschloss, es zu riskieren.
    »Das mit der Wohnung ist derzeit etwas … wie soll ich sagen … ungeklärt …«
    »Na ja, oder vielleicht haben Sie eine Freundin, bei der Sie wohnen?«
    Für einen Moment dachte ich an Eva. Wo mochte sie wohl sein?
    »Nein«, murmelte ich ungewohnt niedergeschlagen, »eine Gefährtin habe ich nicht. Mehr.«
    »Ouh«, sagte der Krämer, »verstehe. Die Sache ist wohl noch recht frisch.«
    »Ja«, bekannte ich, »das alles hier ist … recht frisch für mich.«
    »Lief nicht mehr gut in letzter Zeit, hm?«
    »Das ist wohl zutreffend«, nickte ich, »der Entsatzangriff der Gruppe Steiner ist unverzeihlicherweise ausgeblieben.«
    Er sah mich irritiert an: »Mit Ihrer Freundin, meinte ich. Wer war schuld?«
    »Ich weiß nicht«, bekannte ich, »letzten Endes wohl Churchill.«
    Er lachte. Dann sah er mich längere Zeit nachdenklich an.
    »Ihre Einstellung gefällt mir. Passen Sie auf, ich mach Ihnen einen Vorschlag.«
    »Einen Vorschlag?«
    »Ich weiß ja nicht, was Sie für Ansprüche haben. Aber wenn Sie nichts Besonderes brauchen, dann können Sie ein oder zwei Nächte hier übernachten.«
    »Hier?« Ich sah mich im Kiosk um.
    »Können Sie sich das
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