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Enwor 3 - Das tote Land

Enwor 3 - Das tote Land

Titel: Enwor 3 - Das tote Land
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Moment, stand aber dann auf und kam mit einem brennenden Zweig zurück. Gowenna stemmte sich mühsam hoch, nahm ihm die improvisierte Fackel aus der Hand und hielt sie dicht vor ihr Gesicht. Die winzige gelbe Flamme warf zuk-kende Lichtreflexe über die Felswand und ihr Haar und das geronnene Etwas, das einmal ihr Antlitz gewesen war. Skar fuhr zusammen, aber diesmal zwang er sich, sie anzusehen, wortlos und mit steinernem Gesicht, so lange, bis sie selbst den Zweig senkte und die Dunkelheit wie eine schwarze Welle wieder über ihren Oberkörper flutete.
    »Soviel, um deine Frage zu beantworten«, sagte sie. »Wenn man damit reiten kann, so kann ich es.«
    Er wollte etwas darauf erwidern, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Jetzt, zwei Tage alt, sah die Wunde auf ihrem Gesicht beinahe schlimmer aus als in dem Moment, in dem er sie das erste Mal gesehen hatte — eine schwarzbraune, pockennarbige Maske aus geronnenem Blut und verbranntem Fleisch, die sich wie ein bizarrer Aussatz auf ihr Antlitz gelegt hatte. Skar empfand es als eine grausame Ironie des Schicksals, daß sie jetzt, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, in dem sie bereit war, etwas für sich selbst zu tun und ihr wahres Gesicht zu zeigen, nicht mehr dazu fähig sein würde. Gowenna war nie wirklich sie selbst gewesen.
    Sie hatte immer nur Rollen gespielt, war von einer Maske in die andere geschlüpft und hatte vielleicht nicht einmal wirklich gelebt. Jetzt, wo sie es zum ersten Mal wollte, konnte sie es nicht mehr. Ihr zerstörtes Gesicht würde sie nun dazu zwingen, das zu sein, was sie bisher freiwillig gewesen war: eine Außenseiterin. Sie war — nun auch sichtbar — anders, ausgestoßen, eine Aussätzige, der man allenfalls Mitleid und versteckte, schuldbewußte Ablehnung entgegenbringen würde, nur nicht das, was sie gerade jetzt am dringendsten brauchte — Vertrauen. Vertrauen und, wenn schon nicht Liebe, so doch Freundschaft und Offenheit.
    Und dennoch — in dem winzigen Moment, in dem er ihr Gesicht im Schein der Flammen gesehen hatte, hatte ihr Anblick etwas seltsam Warmes, Vertrautes gehabt. Für einen kurzen, ganz kurzen Augenblick hatte er in ihren Zügen eine Schönheit entdeckt, die vorher nicht dagewesen war, etwas Sanftes und Weiches und Mädchenhaftes, das vielleicht jahrelang tief in ihr geschlummert hatte und erst jetzt hervorbrach.
    Aber dann hob sie den brennenden Zweig erneut in die Höhe, und Skar blickte wieder in die zerstörte Kraterlandschaft, die früher einmal das Gesicht einer schöner Frau gewesen war. Die Illusion zerplatzte. Er begriff, daß es nur Mitleid gewesen war.
    »Du ... hast meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte sie stockend.
    »Was für eine Frage?«
    »Die Frage, ob du in meine Dienste trittst, Skar. Du hattest einen Tag und zwei Nächte Zeit, darüber nachzudenken.«
    Skar lächelte. »Ich dachte, du hättest es vergessen«, sagte er. »Vergessen?« Gowenna lachte; ein Laut, der grausam und eher wie ein Schmerzensschrei klang. »Es war mein Ernst, Skar. Ich brauche dich.«
    »Du
brauchst mich?« wiederholte Skar ungläubig. »Wozu? Als Schwertführer? Als Werkzeug, um deine Rache an Vela zu vollziehen? Kaum.« Er schüttelte den Kopf, seufzte und schwieg sekundenlang. Es war zu früh, dachte er. Sie waren beide mehr tot als lebendig und hatten, was geschehen war, noch lange nicht verarbeitet.
    »Vielleicht hast du recht«, sagte er plötzlich zu seiner eigenen Überraschung. »Vielleicht suche ich Vela so wie du, und vielleicht werde ich den Rest meines Lebens damit zubringen, sie zu verfolgen. Doch wenn, dann aus anderen Gründen als du.«
    »Sei kein Narr, Skar. Glaubst du wirklich, du würdest sie ohne meine Hilfe auch nur finden? Und was deine Gründe angeht — sie hat dich erniedrigt, aber du bist nicht der Mann, der sein Leben aufs Spiel setzt, um eine Schmach zu rächen. Du willst Del befreien. Du weißt jetzt, daß er noch lebt.«
    Wieder spürte Skar einen schmerzhaften, raschen Stich, als Gowenna Dels Namen erwähnte, aber diesmal gelang es ihm nicht, den Gedanken zu verdrängen. Es war zu lange her, daß er an den jungen Satai gedacht hatte, und das Wissen, ihm vor nicht einmal achtundvierzig Stunden im Kampf gegenübergestanden zu haben
    - das Wissen, daß er ihn
hatte töten wollen —
saß wie ein bohrender Parasit in seiner Seele. Gowenna hatte unrecht. Vela hatte ihn nicht erniedrigt; das konnte sie nicht. Niemand konnte einen Mann, der wußte, wie wenig Worte wie Ehre
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