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Entscheide dich, sagt die Liebe

Entscheide dich, sagt die Liebe

Titel: Entscheide dich, sagt die Liebe
Autoren: Siri Goldberg
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einen Becher in der Rechten. Seinem lockigen Haar entsprossen kleine Hörner, um die ein Kranz von Reben gewunden war. Das Brunnenwasser rann aus einer Amphore, die der Bacchus-Neptun-Verschnitt unter seinem linken Arm trug. Das Beste war, dass das Wasser an besonders heißen Sommertagen eine leichte Rotfärbung aufwies, als flösse gewässerter Wein in den Trog. Eigentlich passte dieser schräge Brunnen wunderbar zur Familie Minotti, fand Paolo.
    Er nickte dem Gärtner zu, der das Jäten des Rosenbeetes unterbrochen hatte, um seinen Nacken zu massieren, und zog sich wieder in sein kühles Zimmer zurück. Den Zeigefinger unter die Nase gelegt, wanderte er auf und ab. So konnte er am besten nachdenken.
    Die Idee ließ nicht lange auf sich warten. Er würde den Brief, den er mit Danieles Hilfe aufgesetzt hatte (genau genommen hatte Daniele ihn allein verfasst und gleich ins Deutsche übersetzt), nicht in seinen Laptop tippen, sondern mit der Hand schreiben. Auf die gute, altmodische Art. Eine junge Frau, die sich der klassischen Musik verschrieben hatte, würde das zu schätzen wissen. Außerdem konnte sich seine Handschrift sehen lassen. Er lachte leise und setzte sich an den Schreibtisch.
    Zuerst strich er ein paarmal genüsslich über die Mahagoni-Oberfläche. Ein Ritual, das er nie vergaß, gleichgültig, ob er Rechnungen ausstellte, einen Geschäftsbrief aufsetzte oder – wie jetzt – an einen Engel schrieb. Warum er sich das angewöhnt hatte, wusste er selbst nicht so genau, vielleicht war es nur eine stereotype Bewegung ohne jeden Sinn. Er öffnete die unterste Lade und wählte aus seiner Sammlung von Papieren die edelste Sorte: schweres alabasterfarbenes Büttenpapier. Dann nahm er die Füllfeder zur Hand, die er von seinem Großvater geerbt hatte, und griff zum Tintenfass. Königsblau.
    Halt. Königsblau? Nein, nein. Nur nichts übereilen, nur jetzt keinen Fehler machen. Ein Sprichwort fiel ihm ein: »Chi presto decide talvolta più presto si pente.« Wer vorschnelle Entscheidungen traf, würde diese noch schneller bereuen. Viel stand auf dem Spiel. Schließlich ging es um die begehrenswerteste Frau, der er je begegnet war, und schon deshalb musste jedes Detail genau überlegt werden.
    Blau war die Farbe der Treue. Und Treue mochte für eine bestehende Beziehung wichtig sein, hier war sie eindeutig verfrüht. Dagegen symbolisierte Grün die Hoffnung und den Frühling. Die aufkeimende Liebe. Was Paolo brauchte, war ein Grün.
    Er sprang auf und stürmte ins Arbeitszimmer seiner Mutter. Auf ihrem wohlgeordneten Schreibtisch fanden sich – der Größe nach aufgereiht – verschiedenste Tintenfässer. Er wählte das Fass mit der smaragdgrünen Tinte. Seine Mutter, die wieder einmal verreist war und gerade die Kirschblüte in Japan erlebte, hatte bestimmt nichts dagegen.
    Zurück an seinem Schreibtisch füllte Paolo den Kolben seiner Feder und freute sich im Voraus. Er würde die schöne Pianistin umgarnen. Seine elegante Handschrift in Verbindung mit Danieles Poesie würden sie erobern. Von der Tinte in der Farbe ihrer Augen und dem handgeschöpften Papier gar nicht zu reden.
    Ehe er die Füllfeder ansetzte, rief er sich einen Ausspruch von Bianca, seiner jüngsten Affäre, ins Gedächtnis: »Wenn du einen Brief schreibst, lächle zuerst das Papier an und auch der unangenehmste Inhalt wird positive Aufnahme finden.« Nun gut, dieser Inhalt war alles andere als unangenehm, aber schaden konnte die Prozedur wohl kaum. Paolo entblößte seine Zähne und lächelte das leere Blatt an. Das ging ganz leicht, er musste sich nur Claras Gesicht vorstellen – die hohen Backenknochen, die feine Nase, die sanft geschwungenen Lippen. Ihm wurde warm ums Herz.
    Wer weiß, vielleicht hat Bianca unter all ihren esoterischen Spinnereien doch einmal einen guten Einfall gehabt?
    Andächtig schrieb er die ersten Worte:
    Sehr geehrte Frau Prachensky!
    Mit dem Schwänzchen des Ypsilon unterstrich er den Namen Prachensky, fuhr in einem Bogen zurück und ließ den Buchstaben mit einem Kringel auslaufen. Dann blies er auf die Tinte, bis sie trocken war, und betrachtete die Anrede: seine nach rechts geneigte Handschrift, den schwungvollen Unterstrich beim G. Er nickte zufrieden. Satz für Satz schritt er fort. Zuerst warf er einen Blick auf seinen Notizblock, anschließend schrieb er Danieles Worte ab. Zum Schluss las er alles noch einmal durch. Perfekt.
    Er faltete den Brief und steckte ihn in ein passendes Kuvert. Nun musste er nur
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