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Entscheide dich, sagt die Liebe

Entscheide dich, sagt die Liebe

Titel: Entscheide dich, sagt die Liebe
Autoren: Siri Goldberg
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im Nadelstreifenanzug an. Er trug eine Aktentasche, sah aus wie ein Banker oder Anwalt und hatte es offensichtlich eilig. Als sie ihn überholen ließ, stieg er ihr auf die Zehen.
    »Aua!«
    Der Nadelgestreifte sagte keinen Ton, schenkte ihr nur einen vorwurfsvollen Blick aus zusammengekniffenen Augen, als wäre sie ihm über die Füße gelatscht, nicht umgekehrt. In jeder anderen italienischen Stadt hätte man sich wortreich bei ihr entschuldigt und sie zum Ausgleich mindestens zu einem Kaffee eingeladen. Waren die Venezianer unnahbar? Würden sie ihr Klavierspiel nicht mögen? Bekäme sie Buhrufe zu hören statt Applaus?
    Ihr Magen krampfte sich zusammen. Das Lampenfieber schlug zu und trieb kalten Schweiß auf ihre Stirn. Schon spürte sie den Aufprall fauler Tomaten im Gesicht und klammerte sich verzweifelt an die Reling.
    Reiß dich zusammen. Du wirst genauso gut spielen wie gestern in Verona. Noch besser als vorgestern in Florenz.
    Fliegende Tomaten in Konzertsälen gehörten ohnehin der Vergangenheit an. Vor hundert Jahren hatte es noch Prügeleien mit Verletzten und zertrümmertem Mobiliar gegeben, heutzutage benahm sich das Publikum beinahe langweilig korrekt. Im schlimmsten Fall würden die Zuhörer nur eine Zugabe erklatschen, nicht drei. Sie atmete ein paarmal tief ein und langsam durch die Nase aus.
    Alles wird gut gehen. Mit den ersten Takten wirst du dein Publikum erobern, wirst es bis zum letzten Akkord nicht von der Leine lassen, dass die Leute sich am Ende die Hände wund klatschen müssen, ob sie wollen oder nicht. Morgen werden fulminante Kritiken über dich in der Zeitung stehen. Und Paps wird stolz auf dich sein.
    Sie war so damit beschäftigt, an positive Dinge zu denken und die Angst in die hinterste Ecke ihrer Gehirnwindungen zu drängen, dass sie beinahe das Aussteigen verpasst hätte. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, las sie sich nochmals die Wegbeschreibung durch, die Dillinger ihr ausgedruckt hatte. Was die Organisation betraf, war ihr Agent eins a. Auch diesmal fand sie das Hotel, das praktischerweise ganz in der Nähe des Opernhauses lag, auf Anhieb. Sie schluckte, als sie die bröckelnde Fassade bemerkte, die Eingangstür, die schief in den Angeln hing und die zwei Sterne auf dem Hotellogo. Drei waren ausgemacht. Auch was seine Geldgier betraf, war Dillinger eins a. Wieder mal hatte der alte Knauser in Bezug auf ihre Unterkunft gespart, damit am Ende nur ja genug Gewinn für ihn herausspringen würde.
    Was soll’s? Schließlich bist du nicht die Prinzessin auf der Erbse, sondern bloß eine Musikstudentin, wenn auch eine sehr hoffnungsvolle. In ein paar Jahren wäre sie vielleicht berühmt genug, um sich ein erstklassiges Etablissement zu leisten. So lange würde sie ohne Murren ihren Koffer selbst ins Zimmer schleppen, sich selbst das Konzertkleid aufbügeln und die Schuhe putzen.
    Bis zur Generalprobe hatte sie noch genügend Zeit, um sich ein bisschen im Zentrum umzusehen. Also schlenderte sie zum Markusplatz. Aber die Touristen, die in Heerscharen über die Piazza herfielen und um jede Sehenswürdigkeit Trauben bildeten, schreckten sie ab. Sie lachten, kreischten, schrien in verschiedenen Sprachen, posierten, fotografierten und taten, als streuten sie Körner aus, was natürlich keine einzige Taube anlockte. Die Vögel waren nicht dumm und hatten sich längst an das Fütterungsverbot gewöhnt. Clara nahm sich vor, am nächsten Tag ganz früh hierherzukommen, bevor die Touris sich gegenseitig auf die Füße traten. Sie würde ein, zwei Tage in Venedig bleiben – ein kleiner Urlaub nach der dreiwöchigen Tournee, den sie sich verdient hatte. Würde sich den Markusdom ansehen und den Campanile besteigen, von dem man eine grandiose Aussicht haben sollte.
    Um dem Trubel zu entkommen, wich sie in eine Seitengasse aus, folgte einem überdachten Schleichweg unter einem Haus hindurch, den die Venezianer sotoportego nannten, und bog in eine weitere Seitengasse ein. Sie entdeckte ein kleines Café, in dem nur einige ältere Männer an der Bar saßen, lauter Einheimische. Clara stellte sich dazu und gönnte sich ein tramezzino mit Thunfisch und Ei als spätes Mittagessen. Gesättigt machte sie sich dann auf den Weg zur Generalprobe. Doch sie fand weder zum Markusplatz zurück noch zum Opernhaus. Sie hatte sich verirrt und musste sich zum Teatro La Fenice durchfragen.
    Lag es an ihrem Italienisch oder hatte sie nicht die richtigen Leute um Auskunft gebeten? Jedenfalls
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