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Entscheide dich, sagt die Liebe

Entscheide dich, sagt die Liebe

Titel: Entscheide dich, sagt die Liebe
Autoren: Siri Goldberg
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Krankenhaus zu fahren. Zwar hatte sie Angst davor, ihren Vater leblos zu sehen, aber sie musste sich von ihm verabschieden. Alles andere wäre feige gewesen.
     
    Wie Hammerschläge hallten ihre Schritte durch den langen Korridor der Internen Abteilung. Das Sterbezimmer war ein kleines Kämmerchen neben der Krankenhauskapelle. Clara musste sich zwingen, die Schwelle zu übertreten.
    Ihr Vater lag bis zur Brust zugedeckt auf einer Liege. Eine Kerze brannte auf einem Tischchen daneben, und das Licht, das durch die orangefarbenen Vorhänge fiel, sorgte für eine weiche Note. Langsam trat Clara näher und betrachtete den liebsten und wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Sie streichelte seine papiernen Wangen und staunte, wie zerbrechlich der kräftige Mann im Tod wirkte. Als wäre er geschrumpft. Doch sein Antlitz sah friedlich aus. Man hätte meinen können, dass er nur eben einen Mittagsschlaf hielt und jederzeit aufstehen würde.
    Plötzlich überfiel sie der Schmerz. Nie wieder würde er sie »Clärchen« nennen, nie wieder mit ihr über verschiedene Interpretationen einer Sonate von Beethoven fachsimpeln. Und ihr gemeinsamer Auftritt im Großen Festspielhaus würde nun auch nicht stattfinden. Wie sehr hatte sie sich darauf gefreut! Sie und ihr Vater zum ersten Mal zusammen in einem Konzert, noch dazu bei den Salzburger Festspielen.
    Wieder fühlte sie Tränen aufsteigen, doch sie schluckte sie hinunter. Beherrsche dich, Clara. Geflenne brachte Paps nicht zurück. Nach einem letzten Blick auf seine eingefallenen Wangen wandte sie sich endgültig ab, straffte ihre Schultern und biss die Zähne zusammen.
     
    Kaum war sie wieder zu Hause, begann Clara, sich um die Organisation des Begräbnisses zu kümmern. Sie war froh, dass es so viel zu tun gab und sie keine Zeit hatte, zu grübeln und in ein schwarzes Loch zu fallen. Da Leo Prachensky ein beliebtes Mitglied der Salzburger High Society gewesen war, genügte es nicht, ihm eine würdige Beerdigung auszurichten. Ein gesellschaftliches Großereignis musste geplant werden. Das war Clara ihrem Vater und seinen Bewunderern schuldig. Amelie bot ihr Rat und Hilfe an, beides konnte Clara gut gebrauchen.
    Sie nahm Papier und Stift und erstellte eine To-do-Liste. Behördengänge mussten unternommen, ein Bestattungsinstitut musste kontaktiert, eine Todesanzeige aufgesetzt und eine Druckerei beauftragt werden. Die Medien mussten über den Tod ihres Vaters informiert werden.
    Das Begräbnis sollte am Samstagnachmittag stattfinden. Eine Kutsche, gezogen von zwei Rappen, würde den Sarg von der Villa bis zum Friedhof bringen. Das Ganze würde sehr teuer werden. Aber Paps war immer ein großzügiger, lebenslustiger Mensch gewesen, der einerseits hart an seinem Erfolg gearbeitet und es andererseits verstanden hatte, dessen Früchte zu genießen. Nie wäre es Clara in den Sinn gekommen, bei seinem letzten Gang zu sparen.
    Das Wichtigste und Schwierigste zugleich war die Auswahl der Musik, die auf dem Friedhof erklingen sollte. Stundenlang überlegte sie, welche Musiker ihr Vater am meisten geschätzt hatte. Dann rief sie jeden einzelnen von ihnen an, um herauszufinden, wer verfügbar war. Schließlich engagierte sie ein Streichquartett und ein Bläserensemble.
    Wenn es nicht völlig verrückt gewesen wäre, einen Konzertflügel auf den Friedhof zu transportieren, hätte sie am liebsten selbst für ihren Vater gespielt. Den Trauermarsch von Chopin. Und eines der späten Klavierstücke von Brahms, weil Brahms Paps’ absoluter Lieblingskomponist gewesen war.

 
    M it großen Schritten durchmaß Paolo sein Arbeitszimmer. Er öffnete die Balkontür und trat hinaus. Die Aprilsonne erwärmte das alte Gemäuer und verlockte zwei Eidechsen zum Liebesspiel. Eine unbedachte Bewegung seinerseits und sie stoben auseinander und flüchteten über die steinerne Balustrade.
    Paolo blähte seine Nasenflügel. Er sog den Duft der Magnolienblüten ein, die bereits im Verwelken begriffen waren. Nur die windgeschützte Lage des Innenhofs bewahrte sie noch ein wenig länger vor dem Abfallen.
    Als sein Blick auf den alten Brunnen fiel, das Herzstück des Gartens, musste er wie immer schmunzeln. Ein unbekannter Künstler aus dem 17. Jahrhundert hatte den stolzen Neptun, den Beherrscher der Meere, als Brunnenfigur gewählt und ihn dabei irgendwie mit Bacchus, dem Gott des Weines und der Ausschweifung verwechselt. Zwar ritt Neptun auf einem Delfin, wie es sich gehörte, doch statt eines Dreizacks hielt er
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