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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten
Autoren: B Akunin
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sie hat es verstanden, Liebe zu wecken. Sie waren doch wohl auch nicht unempfindlich gegen ihren Charme? Allerdings fürchte ich, daß Sie zu schüchtern waren. Nach allem zu urteilen, hat Somow mehr erreicht. Das hier habe ich bei ihm gefunden.«
    Er zog ein Seidensäckchen aus der Tasche und entnahm ihm eine kastanienbraune Locke. Ich sah sofort, daß es Emilies Haar war. So hatten also die Französisch-Lektionen ausgesehen … Aber ich hatte keine Zeit, mich darüber zu grämen – die verdammten Ameisen unternahmen ein Umgehungsmanöver, und die unverschämteste pflückte ich von Mademoiselles Ohr.
    »Jetzt ist klar, warum Doktor Lind keine Freundinnen hatte und als Frauenhasser galt. H-Homosexualität war hier nicht im Spiel. Emilie hat uns geschickt getäuscht und auf eine falsche Fährte geführt. Lord Banville hat wahrscheinlich längst das Land verlassen, nachdem er für den Verlust seines Liebhabers den armen blutjungen Glinski büßen ließ. Und der Ästhet Mr. Carr, harmloser Liebhaber blauer Nelken und grüner Vergißmeinnicht! Er mußte sterben, damit wir glaubten, Lind sei Lord Banville. Während wir zwei Idioten für den Doktor Höschen und Strümpfchen kauften, hat Mademoiselle bestimmt die Wohnung durchsucht, weder die Schatulle noch den ›Orlow‹ gefunden und beschlossen, noch einen Zug in ihrem raffinierten Spiel zu machen – sie r-rief Somow in der Eremitage an und befahl ihm, Carr umzubringen. Die Operation trat in das entscheidende Stadium ein – Lind mußte die Juwelen zurückbekommen und den Brillanten an sich bringen.«
    »Nein!« rief ich, von plötzlichem Entsetzen erfaßt. »Nein! Das stimmt nicht! Sie irren sich!«
    Er starrte mich erstaunt an, und ich erzählte unter Tränen von meinem letzten Telephongespräch mit Emilie.
    »Wenn … wenn sie Lind gewesen wäre, hätte sie dann abgelehnt? Ich habe selber … selber vorgeschlagen, ihr die Schatulle und den Brillanten zu übergeben! Sie wollte nicht! Sie hat gesagt, daß sie Ihnen vertraut und … und daß ich Ihnen nicht in den Rücken fallen soll!«
    Aber diese Mitteilung brachte Fandorin nicht im geringsten aus dem Konzept.
    »Ja natürlich.« Er nickte. »Die B-Beute allein reichte dem Doktor nicht. Er – verdammt – sie wollte auch noch meinen Kopf. Nachdem sie von Ihnen Zeit und Ort der Begegnung erfahren hatte, sah sie eine Möglichkeit, ihre Moskauer Operation mit einem Schlag abzuschließen. Und zwar so triumphal, daß sie alle Fehlschläge wettmachte und voll auf ihre Kosten kam.«
    Fandorin stockte. Er machte ein Gesicht, als fühle er sich schuldig und wolle mich um Verzeihung bitten.
    Ich irrte mich nicht, er entschuldigte sich tatsächlich.
    »Afanassi Stepanowitsch, ich bin grausam mit Ihnen umgegangen. Ich habe Sie benutzt, ohne Ihnen etwas zu e-erklären. Aber ich konnte Ihnen nicht die Wahrheit sagen – Sie waren von Emilie bezaubert und hätten mir nie und nimmer geglaubt. Gestern abend am Telephon habe ich mit Ihnen absichtlich so schroff gesprochen und Sie nicht in Einzelheiten eingeweiht. Es kam mir darauf an, Ihren V-Verdacht zu wecken. Ich wußte, wenn Zweifel Sie plagen, werden Sie sich mit dem einzigen Menschen beraten, dem Sie vertrauen – mit Mademoiselle Déclic. Und werden ihr alles erzählen. Hinter dem Mönchsgewand steckte auch eine Absicht: Lind mit seiner – mein Gott, mit
ihrer
übernatürlichen Findigkeit mußtebegreifen, daß diese Maskerade für sie wie geschaffen war. Kappe, Flor und Kutte verdecken ideal die Figur und das Gesicht. Ich habe dem Doktor – durch Sie – die weiteren Schritte souffliert. Mademoiselle kannte Ihre Angewohnheit, stets vor der verabredeten Zeit zu erscheinen. Sie kam zwanzig Minuten nach fünf zur Brücke und wartete. Ich hatte ja angekündigt, daß ich mich verspäten könnte, darum war sie sich sicher, daß Sie als erster kommen würden. Also hätte sie die J-Juwelen an sich nehmen können und hätte noch genug Zeit gehabt, sich auf die Begegnung mit mir vorzubereiten. Doch ich saß schon seit halb fünf im Gebüsch … Es wäre für mich ein leichtes gewesen, Lind noch vor Ihrem E-Erscheinen zu erschießen, ohne das geringste Risiko einzugehen. Aber dann wären Sie auf Gott weiß was für Gedanken gekommen. Sie hätten nie im Leben an Mademoiselles Schuld geglaubt, wenn sie sich vor Ihren Augen nicht selbst entlarvt hätte. Was sie auch vortrefflich getan hat. Freilich hat mir das ein Loch in der Schulter eingetragen. Und wenn die Sonne sie nicht geblendet
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