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Entflammt

Entflammt

Titel: Entflammt
Autoren: Cate Tiernan
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zum Laufen und plötzlich war der Morgen grauenvoll hell, grauenvoll klar. Incy hatte letzte Nacht aus heiterem Himmel mit Magie etwas Schreckliches angerichtet. Und ich hatte etwas ebenso Schreckliches getan, allerdings ohne Magie. Ich hatte zugesehen, wie Incy dem Mann die Wirbelsäule gebrochen hatte, und war dann einfach ... weggegangen. Ich war weggegangen und hatte in einem Club getanzt. Was stimmte nicht mit mir? Wie hatte ich so was tun können? Ob ihn letzte Nacht jemand gefunden hatte? Bestimmt, oder? Auch wenn in der Gegend wenig Betrieb war. Auch wenn es sehr spät gewesen war. Und geregnet hatte. Es musste ihn doch jemand entdeckt und dafür gesorgt haben, dass er ins Krankenhaus kam! Oder?
    Und zu allem Überfluss hatte Incy auch noch das Mal auf meinem Nacken gesehen. Und erinnerte sich womöglich noch daran. Welche Ironie. Da war ich die letzten vierhundertneunundvierzig
    Jahre davon besessen gewesen, meinen
    Nacken unter allen Umständen bedeckt zu halten, und in dieser einen Nacht waren all meine Bemühungen zum Teufel gegangen. Wusste Incy um die Bedeutung dessen, was er da gesehen hatte? Wie sollte er? Das wusste niemand. Niemand, der noch am Leben war. Wieso drehte ich jetzt also durch? All diese grässlichen, hektischen Gedanken bringen mich wieder zurück zum Anfang:
    Letzte Nacht ist meine ganze Welt zusammengebrochen. Und jetzt habe ich Panik.

2
    Nach allem, was ich bereits erlebt hatte, hätte die Geschichte gestern eigentlich ein Spaziergang sein müssen.
    Ich war schon in die Mähne eines Pferdes verkrallt in die Nacht galoppiert, mit nichts als den Klamotten, die ich am Leib trug, während hinter mir eine Stadt niederbrannte. Ich hatte gesehen, wie sich Leichen mit den schwärenden Wunden der Beulenpest wie Baumstämme auf der Straße stapelten, weil nicht mehr genügend Leute am Leben waren, um sie zu begraben. Ich war am 14. Juli 1789 in Paris gewesen. Den Anblick eines menschlichen Kopfes auf einer Pike vergisst man nie wieder.
    Doch jetzt waren wir nicht im Krieg. Wir lebten ein ganz normales Leben - zumindest so normal, wie es einem Unsterblichen möglich ist. Ich meine, ein bisschen verrückt ist es ja immer. Wenn man lange genug lebt und genug Kriege, Invasionen und Überfälle von Wikingern mitgemacht hat, verteidigt man sich halt, manchmal auch ein bisschen extrem. Wenn ein Typ mit einem Schwert auf einen zustürmt und man zufällig einen Dolch hinten im Rockbund stecken hat, tja ...
    Es spielte keine Rolle, dass der Angreifer einen vermutlich nicht töten würde - wie oft schlägt einem schon jemand den Kopf ab? - aber es fühlte sich doch jedes Mal an wie eine tödliche Bedrohung und man reagiert entsprechend. Aber letzte Nacht war eine ganz normale Nacht gewesen. Kein Krieg, keine Berserker, kein Leben oder Tod. Nur ein zickiger Taxifahrer.
    Wo hatte Incy diesen Zauber gelernt? Ja, wir sind unsterblich und Magie fließt durch unsere Adern, aber trotzdem müssen wir erst lernen, wie man sie benutzt. Im Laufe der Zeit habe ich viele Leute getroffen, die nichts anderes getan haben, als Magie zu studieren, Verwünschungen zu lernen und sich alles anzueignen, was sie brauchten, um diese Kraft zu nutzen. Doch ich hatte schon vor langer Zeit entschieden, dass ich das nicht wollte. Ich hatte den Tod und die Zerstörung gesehen, die Magie verursachen konnte, ich hatte gesehen, wie weit Menschen gingen, die Magie anwendeten, und ich wollte damit nichts zu tun haben. Ich wollte so tun, als existierte sie nicht. Und ich hatte mir ein paar gleichgesinnte Aefrelyffen (ein altes Wort für Unsterbliche) gesucht, mit denen ich meine Zeit verbrachte.
    Okay, ich benutze auch Magie, um ein Taxi zu kriegen, wenn es regnet und keins zu finden ist. Um den Menschen vor mir zu überzeugen, dass er das letzte Schoko-Croissant nicht will. Solche Dinge eben. Aber jemandem das Kreuz brechen, nur zum Spaß?
    Ich hatte gesehen, wie Incy Leute benutzte, Jungen und Mädchen das Herz gebrochen und gestohlen hatte, und wusste, wie skrupellos er sein konnte, aber das war ein Teil seines Charmes. Er war rücksichtslos und liebenswert und egoistisch - aber nicht mir gegenüber. Bei mir war er freundlich und großzügig und lustig, einfach ein guter Kumpel, der bereit war, überall hinzugehen und alles mitzumachen. Er war derjenige, der mich ohne jede Vorwarnung nach Marokko  schleppte. Der, den ich anrief, wenn ich in der Klemme steckte. Wenn irgendein Typ mein Nein nicht als
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