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Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese
Autoren: Roberto Costantini
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Januar 1982
    »Pot« war das erste Wort, das ich aus Angelo Dioguardis Mund vernahm.
    Ich hatte das verqualmte Zimmer betreten, weil die Hausbar hier stand und ich mich an der Flasche Lagavulin bedienen wollte, mit der ich schon geliebäugelt hatte.
    Drei der vier Pokerspieler kannte ich vom Sehen, nur diesen großen jungen Mann mit dem blonden Lockenkopf, den langen Koteletten und den blauen Augen nicht. Vor ihm türmten sich fast alle Spielchips.
    »Scheiße, Angelo, dafür muss ich einen Monat arbeiten«, brummte der junge Anwalt, mit dem er um den Pot spielte. Woraus hervorging, dass der Anwalt immerhin zehnmal so viel verdiente wie ich.
    Der Blonde lächelte zerknirscht, als wolle er sich entschuldigen. Er war der Einzige, der nicht rauchte, und der Einzige, der kein Whiskyglas vor sich stehen hatte. Als ich mir von dem Lagavulin einschenkte, warf ich einen Blick auf den Tisch. Eine Partie Five Card Stud. Dem aufgedeckten Blatt nach war der Anwalt im Vorteil. Nur mit einer einzigen Karte würde der Blonde, sofern er sie besaß, noch den einen Punkt holen, den der Anwalt nicht mehr übertrumpfen konnte.
    Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, und er antwortete mit einem freundlichen Lächeln. Noch bevor der Anwalt sich entschieden hatte, verließ ich das Zimmer wieder.
    Nebenan erwartete mich Camilla, der Grund für mein Kommen an diesem Abend. Paola, die Gastgeberin, hatte ich kennengelernt, als sie bei uns im Kommissariat den vermeintlichen Raub ihres Schnauzers, der auf einem Streifzug durch den Park verschwunden war, anzeigen wollte. Sie war ein bisschen zu elegant für meinen Geschmack, aber sehr hübsch, also hatte ich ihren Hund, der sich nur verlaufen hatte, wieder aufgetrieben und sie zu einer Pizza eingeladen. In neun von zehn Fällen hatte mein leidender Charme, kombiniert mit der Autorität der Polizeimarke, durchaus Erfolg. Sie hingegen hatte fröhlich gelacht und hinzugefügt: »Ich bin so gut wie verheiratet, und ich bin treu. Aber ich könnte dich mit einer hübschen Freundin von mir bekannt machen, die hat eine Schwäche für schräge Machos wie dich. Morgen Abend bei mir …«
    Sie lebte in Vigna Clara, einem vornehmen Viertel von Rom. Ihre luxuriöse Wohnung lag in der dritten Etage und schaute auf einen kleinen ruhigen Platz hinaus, schön grün, gute Luft, kein Lärm. Bezahlt von den Eltern in Palermo, damit sie in Rom studieren konnte. Ihre Freundin Camilla war gar nicht mal übel, vielleicht ebenfalls ein bisschen versnobt. Aber nachdem ich zwölf Jahre zuvor die einzige Frau verloren hatte, die mir wirklich wichtig gewesen war, hatte ich beschlossen, mich künftig mit der Summe der Besonderheiten aller anderen zu begnügen. Mit meinen zweiunddreißig Jahren gelang es mir denn auch, in jeder hübschen Frau, die mir über den Weg lief, mindestens eine Besonderheit zu entdecken. Natürlich hatte ich längst herausgefunden, dass sich das »Besondere« einer Frau nur beim Sex ergründen lässt. Wenn Gesten, Blicke, Worte und Seufzer nah an die Wahrheit herankommen.
    An jenem Abend machte ich mir allerdings keine großen Hoffnungen. Paolas Freundin würde bei ihr übernachten, sodass ich nicht bei ihr landen konnte. Gegen Mitternacht suchte ich nach einem Vorwand, um abzuhauen. In diesem Bonzenmilieu war ich als junger Polizeikommissar bestimmt der Einzige, der am nächsten Morgen um halb sieben rausmusste. Gerade als ich aufbrechen wollte, kamen die Pokerspieler in den Salon zurück: drei geprügelte Hunde und der Blonde mit den blauen, inzwischen leicht glasigen Augen.
    »Paola, dein Verlobter hat mehr Glück als Verstand«, begrüßte der Anwalt die Hausherrin.
    Der Blonde ließ sich mir gegenüber in den Sessel fallen. Nun, da er die anderen bis aufs Hemd ausgezogen hatte, hielt er die Flasche Lagavulin in der Hand. Er schenkte sich großzügig ein, sah mein leeres Glas und füllte es, ohne mich zu fragen, ebenfalls auf. Dann hob er das seine und prostete mir zu. Mit seiner Kleidung, den ungepflegten Haaren und den langen Koteletten passte er ähnlich schlecht an diesen Ort wie ich. Nur dass ich ein Meister der Heuchelei war, ein Chamäleon, das beim Geheimdienst gelernt hatte, seine Verachtung zu verbergen, während er ein Junge aus der Vorstadt und allein dadurch schon fehl am Platz war.
    »Auf diesen wunderbaren Whisky. Und auf alle, die ihn zu schätzen wissen«, sagte er mit dem Akzent der römischen Peripherie.
    Er bot mir eine Zigarette an. Er rauchte diese schrecklichen Gitanes ohne
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