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Entfernte Verwandte: Kriminalroman

Entfernte Verwandte: Kriminalroman

Titel: Entfernte Verwandte: Kriminalroman
Autoren: Matti Rönkä
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die Augen zu, doch in meinem Kopf rührten sich bereits die Gedanken. Die Armeezeit kam mir in den Sinn. Du schreckst in der Schlafstube auf, begreifst, dass es zu hell ist, und gleich darauf schlurft der Diensthabende über den Flur, reißt die Tür auf und das Gebrüll geht los …
    Das Mädchen schrie im Gitterbettchen. Ich sah zu Marja hinüber, aber sie lag auf dem Bauch, alle viere von sich gestreckt, und rührte sich nicht. Sie trug ein T-Shirt und meine Boxershorts und hatte sich die Decke über den Kopf gezogen. Ich stand auf. Der Radiowecker zeigte 6:52.
    »Was ist denn?«, sagte ich zu dem Mädchen. Die Kleine hörte mit dem Weinen so plötzlich auf, wie sie angefangen hatte, quiekte noch einmal leise beim Einatmen. Ich hielt ihr den Schnuller hin, doch sie streckte die Arme aus, wollte hochgenommen werden.
    »Mach sie sauber und zieh ihr eine neue Windel an. Aber vergiss das Puder nicht. Ihr Po war gestern ziemlich rot«, sagte Marja in meinem Rücken. Sie war leise aufgestanden und stapfte in die Küche.
    »Warum bist du nicht im Bett geblieben? Das schaff ich auch allein«, sagte ich und dachte, warum bist du nicht selbst zu der Kleinen gegangen, wenn du doch wach warst.
    »Es wird sowieso Zeit, aufzustehen.«
    Diese Bemerkung war auf mich gemünzt, das war mir klar.
    Ich zog das Wärme ausstrahlende Mädchen aus. Die nasse Windel war so schwer wie ein kleiner Sandsack. Dann drehte ich den Hahn auf und wusch das Mädchen unter der Dusche.
    »Wo ist das Handtuch?«
    »Wo die Handtücher immer liegen.«
    So leise wie möglich öffnete ich die Schranktüren und versuchte zu erraten, welche Tücher für das Geschirr gedacht waren und welche für die Hände, welche für Gäste reserviert waren und mit welchen man sich nur das Gesicht abtrocknete.
    Ich setzte das Mädchen auf unser Bett. Da saß es und sah mich ernst an. Es hatte dicke dunkle Haare und dunkle Augen.
    Da wächst sie nun wie eine Erbse oder irgendeine andere Schotenfrucht, schießt in die Höhe und entwickelt sich, dachte ich voller Staunen, dieses schelmische Wesen, eine zusammengesetzte Kopie von uns beiden, von Marja und mir. Für eine Frau musste das Mysterium noch unbegreiflicher sein, oder vielleicht doch etwas ganz Natürliches, das Kind war in der Frau gewachsen und schließlich herausgekommen. Der Mann war nur einmal gebraucht worden, fast ein Jahr vorher, vor einer halben Ewigkeit.
    Das Mädchen nahm den Schnuller und saugte mit eingezogenen Backen daran.
    »Kleiner Kobold«, sagte ich, drückte die Lippen auf ihren Bauch und prustete. Dann streckte ich mich neben dem Mädchen aus.
    Ich nannte sie Mädchen, obwohl sie einen schönen Namen hatte, Anna, nach meiner verstorbenen Mutter. Anna war außerdem ein unverfänglicher Name, von dem keiner sagen würde,das ist ja ein urfinnischer Name, oder, was für ein exotischer Name, ist der etwa russisch?
    Wir hatten uns nicht einmal darüber gestritten. Annas zweiter Vorname war Helena, nach Marjas Mutter. Ich hatte nichts dazu gesagt, obwohl er mich an Lena erinnerte, ein Mädchen aus meiner Vergangenheit, in der sie auch bleiben sollte, wenn es nach mir ging.
    Wir hatten eine Weile darüber diskutiert, ob wir unsere Kinder taufen oder nur standesamtlich registrieren lassen sollten, denn ich gehörte ja keiner Glaubensgemeinschaft an, ich war ein in der Lüge und im Atheismus aufgewachsener Heide. Auch Marja war nicht gläubig, aber sie meinte, es wäre schön, eine Taufe zu feiern, Verwandte, Nachbarn und Freunde einzuladen. Ich erhob keine Einwände, obwohl ich selbst nur meinen Bruder Aleksej und seine kleine Familie einladen konnte. Unter meinen Kollegen und Geschäftspartnern wäre keiner als Pate in Frage gekommen.
    Auch über Annas Familiennamen hatten wir uns nicht wirklich gestritten. Ich hatte vorsichtig angedeutet, es wäre mir lieb, wenn unser Kind Kärppä hieße, auch wenn wir nicht verheiratet waren. Marja hätte sicher nicht meinen Namen angenommen, wenn wir geheiratet hätten, vermutete ich, sie war eine moderne Frau.
    Die Namensfrage war allmählich zu einem heiklen Thema geworden. Mal waren wir um die Wette konstruktiv und einer Meinung, mal starrten wir stumm auf den Garten. Manchmal hatte ich den Verdacht, dass Marja doch gern Kärppä heißen würde oder zumindest erwartete, dass ich es ihr vorschlug.
     
    Ich wusste, dass ich eingeschlafen war. Zwischendurch schrak ich hoch, doch der Traum schien immer weiterzugehen. Ich hatte viele Kinderund offenbar auch
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