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Entfernte Verwandte: Kriminalroman

Entfernte Verwandte: Kriminalroman

Titel: Entfernte Verwandte: Kriminalroman
Autoren: Matti Rönkä
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den Bösen, ein altes Dschungelsprichwort.«
    Korhonen trat aus dem Schuppen. Er blieb stehen und sah Sergej zu, der versuchte, nur auf dem Hinterrad zu fahren.
    »Weißt du, welches die zwei furchtbarsten Mitteilungen sind, die ein Mensch erhalten kann?«, fragte Korhonen und antwortete gleich selbst. »Deine Mutter ist gestorben, und dein Kind ist unters Auto gekommen. Da ist der Platz des Mannes, zwischen diesen beiden. Zwischen seiner Mutter und seinem Kind. Alles andere ist relativ. Oder optional«, erklärte er gewichtig.
    Ich brummte teilnehmend oder verständnisvoll. Ein russischer Freund hatte einmal nachdenklich gesagt, Korhonen sei wie ein Akkordeon, von außen prächtig, gebe laute Töne von sich, doch die Melodien seien recht melancholisch.
    Korhonen ließ das Streichholz in seinem Mund eine volle Umdrehung machen und stiefelte zu seinem Wagen.
    »Erkki klein, Jüngelein, pass mir gut auf den Viktor auf, er ist wie ein Rohr im Wind und völlig verloren, wenn man ihn allein lässt«, rief er dem Jungen im Vorbeigehen zu.
    Sergej lehnte das Fahrrad an einen Baum und vergewisserte sich, dass es nicht umkippte. Dann schlenderte er langsam zu mir.
    »Ein komischer Mann, ganz plemplem. Aber nett«, sagte er verwundert. Er legte den Kopf in den Nacken und sah zu mir auf, blinzelte in der Sonne.
    »Genau.«
    Sergej schob wie aus Versehen seine Hand in meine. SeineHandfläche fühlte sich heiß und weich an, und seine Finger waren klebrig, wie es die Finger kleiner Jungen eben sind.
    Wir standen nebeneinander und sahen zu, wie Korhonen die Straße hochfuhr, dass der Kies aufspritzte. Der ganze Hügel warf das Echo zurück, als er ein paar Mal die Sirene aufheulen ließ.
    »Wir kommen schon zurecht«, sagte Sergej.

Nachwort
    In Russland – später Sowjetunion und nun wieder Russland – haben seit jeher finnische und mit den Finnen verwandte Menschen gelebt.
    Die Karelier, deren Sprache eng mit dem Finnischen verwandt ist, bilden ein eigenes Volk, das in den Gebieten jenseits der Ostgrenze Finnlands angesiedelt ist. Nach dem finnischen Bürgerkrieg 1917 flohen viele, die auf der Seite der Unterlegenen, d.h. der Roten gestanden hatten, nach Russland. Während der Depression in den 1920er – 1930er Jahren siedelten viele Finnen voller Hoffnung ins Nachbarland über, um das »Gelobte Land« für Arbeiter aufzubauen. Tausende Finnen zogen in die Sowjetunion, sogar aus den Vereinigten Staaten und Kanada, wo sie als Emigranten unter der harten Depression zu leiden hatten.
     
    Zu Ingermanland gehört der gesamte schmale Streifen nordöstlich von St. Petersburg, von der Stadt bis an die Küste des Finnischen Meerbusens. Die dortige finnische Besiedlung geht auf das 17. – 18. Jahrhundert zurück, als Schweden versuchte, seine Macht und die Position der lutherischen Kirche im Osten zu festigen. So entstand in unmittelbarer Nachbarschaft von St. Petersburg, dem späteren Leningrad, das von rund zweihunderttausend Finnen bewohnte Ingermanland, wo man Finnisch sprach, finnische Lieder sang, den lutherischen Gottesdienstbesuchte und auch die alltäglichen Arbeiten etwas anders – auf finnische Art – verrichtete.
    In der sowjetischen Epoche wurde den in der Sowjetunion lebenden Finnen, wie anderen nationalen Minderheiten, hart zugesetzt. Während der Stalinschen Säuberungen wurden Finnen in Arbeitslager geschickt, Familien auseinandergerissen und große Teile der Bevölkerung in entlegene Gebiete Russlands verbannt.
    Der Zweite Weltkrieg fügte der Geschichte der Ingermanländer weitere bittere Kapitel hinzu. Deutschland eroberte Ingermanland, und die dort lebenden Menschen wurden nach Finnland übergesiedelt. Dort arbeiteten die Ingermanländer auf Bauernhöfen und in Fabriken, zahlreiche Ehen mit Finnen wurden geschlossen, verwaiste Kinder adoptiert … Ingermanländische Männer, die an der Front in finnische Kriegsgefangenschaft geraten waren, schlossen sich der finnischen Armee an, wo sie in einem speziellen »Stammesbataillon« kämpften.
    Insgeheim wurde den Ingermanländern eine gesicherte Zukunft in »Großfinnland« versprochen.
     
    Doch Finnland verlor den Krieg, und die Friedensbedingungen waren grausam. Alle Sowjetbürger mussten unverzüglich in die Sowjetunion zurückgeschickt werden. Nahezu 60 000 Ingermanländer wurden in Züge gepfercht und über die Grenze nach Osten transportiert. Unter ihnen waren Dutzende von Kindern, die von finnischen Familien adoptiert worden waren.
    Manche blieben mit
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