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Engpass

Engpass

Titel: Engpass
Autoren: Gabriele Diechler
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sie wollte nach Hause. Sich in die Badewanne legen und auf Hartmut warten, um ihm von ihrem Erfolg zu berichten. Als sie in den Flur kam, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Weinrote Stiefel standen da und die besaß weder sie noch Anna. Wenn sie es wenigstens im Schlafzimmer, im Bett, getan hätten oder im Wohnzimmer, auf der Couch. Das wäre ihr irgendwie logisch erschienen.
    Auf dem Küchentisch hatte sie die beiden gesehen. Die Obstschale hatte, bei dem Versuch übereinander herzufallen, weichen müssen. Bananen, Äpfel, Weintrauben lagen wie Müll auf den weißblauen Bodenkacheln. Hartmut hing die Hose in den Kniekehlen. Die Frau hatte den Rock hochgeschoben, ihre Strümpfe hatten sich in der Stuhllehne verheddert, die Hartmut sonst als Rückenstütze beim schnellen Frühstück diente. Ihr Slip hatte sich in dem Geschirrtuch, mit dem Elsa noch am Morgen den Topf für die heiße Milch abgetrocknet hatte, verfangen.
    Die Frau keuchte. Dazwischen lachte sie auf. Ihr Lachen klang sicher. So, als habe sie lange gewusst, dass sie heute etwas erreichen würde. Hartmut Wegener, der angesehene Richter, der gut aussehende Mann, auf den es so manche Frau abgesehen hatte. Der war nun ihrer.
    Elsa hatte die rhythmischen Stöße abgewartet, hatte ihnen sogar das Ende gegönnt. Wie versteinert hatte sie im Türrahmen gestanden und zugesehen, nur zugesehen, ohne etwas zu empfinden. Erst als Hartmut die Frau auf den Mund küsste und Elsa, als spüre er ihre Anwesenheit mit einem Mal, ins Visier nahm, da hatte sie einen eigenartigen Schmerz gefühlt. Wie abgetrennt von sich selbst und doch tief in ihr drin.
    Es war der Blick der Frau gewesen, der sie betroffen machte. Triumphierend. Kalt. Der Blick einer Siegerin.
    Da hatte Elsa sich umgedreht. War aus der Wohnung gerannt.
    Degenwald klopft Elsa auf die Schulter. »Frau Wegener. Guten Morgen!«
    Erschrocken sieht Elsa sich um und fährt sich übers Gesicht.
    »Entschuldigen Sie. Ich war für einen Moment in Gedanken.«
    »Hoffentlich gute.« Degenwald schweigt einen Augenblick. »Gedanken, meine ich. Hoffentlich waren es gute Gedanken, so früh am Morgen«, wiederholt er.
    Elsa sagt nichts weiter. Sie deutet zu den Akten auf ihrem Schreibtisch. Was es damit auf sich hat, will sie wissen. Ihre Stimme ist nun wieder gefestigt, korrekt und sicher.
    Degenwald sieht Elsa an. Für Sekunden steht ihm etwas ins Gesicht geschrieben. Was, kann Elsa nicht deuten. Sie kennt ihn noch nicht gut genug.
    »Ich habe gestern noch mal mit Michael Horn gesprochen. Er hat mich auf einen unaufgeklärten Fall aufmerksam gemacht. Silke Maihauser. Die ist vor circa 20 Jahren verschwunden. Die Leiche hat man nie gefunden.«
    »Und Dr. Horn vermutet, dass es sich bei unserer Toten um Frau Maihauser handeln könnte? Deutet ein Indiz darauf hin?«, will Elsa wissen.
    Degenwald schüttelt den Kopf. »Ist nur so eine Idee. Intuition oder so was. Wir wissen’s ohnehin bald. Sicher arbeitet er ohne Unterlass daran, der Toten ein Stück Vergangenheit zurückzuerstatten.«
    Elsa schlägt den ersten Ordner auf.
    »Kaffee?«, fragt Degenwald in Elsas Überlegungen hinein und deutet auf die Kaffeemaschine in der Ecke.
    »Heute nicht.« Elsa schüttelt den Kopf.
    Degenwald nickt, schließt die Tür leise hinter sich und ist in seinem Büro verschwunden. Elsa glaubt zu spüren, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders ist.

     
    Das Schulgebäude liegt wie eine verlassene Burg vor ihnen.
    Anna rümpft die Nase. »Sieht aus wie ein Heim für Schwererziehbare.«
    »Bist du das denn nicht?«, scherzt Elsa. Anna scheint das nicht lustig zu finden. Ihr Blick sagt mehr als Worte.
    »Und wenn ich das Pensum nicht schaffe? Die haben doch sicher einen ganz anderen Stoff hier als in Nordrhein-Westfalen.«
    »Weißt du, wie viele Menschen umziehen, die Schule wechseln, neue Jobs annehmen, ins Ausland gehen … Die müssen alle was nachholen, sich kundig machen, sich einarbeiten.«
    »Ist ja schon gut. Ich hab ja nur gemeint. Du weißt, dass ich nicht die Beste bin, was Schule und so anbelangt.«
    »An Intelligenz mangelt es dir nicht, Anna. Zeig doch mal, was du drauf hast.«
    Anna winkt genervt ab und dreht sich um. Die Haare hat sie zu einem Zopf gebunden. Unter den Augen hat sie dunkle Ringe, weil sie die halbe Nacht wach gelegen hat. Lars wird ihr im Kopf herumgegeistert sein.
    Elsa steigt wieder in den Golf. »Komm! Wir müssen noch ins Möbelgeschäft.«
    Anna folgt widerstrebend. Ihr Handy hat sie am Gürtel
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