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Engelslust

Engelslust

Titel: Engelslust
Autoren: Inka Loreen Minden
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der Unterwelt durch den großen Saal. Obwohl Leraja es vermied, ihre Mutter anzusehen, spürte sie deren stechenden Blick auf sich. Sie unterdrückte ein Schaudern. »Unsere gesamte Existenz hängt von deinem Erfolg ab!«
    »Hab ich dich jemals enttäuscht?«, fragte Leraja mit ein wenig Trotz in der Stimme und strich sich eine blonde Strähne hinter ihr Ohr. Sie starrte auf den schwarzen Steinboden, auf dem das Licht der Fackeln tanzte.
    Ihr ganzes Leben lang hatte sich Leraja doppelt so sehr angestrengt wie die anderen ihrer Art. Alles, was in ihrer Macht stand, hatte sie gegeben, nur um zu beweisen, dass sie mit ihnen mithalten konnte, auch wenn sie keine reinrassige Dämonin war. Was konnte sie, Leraja, denn dafür, dass sich ihre Mutter Xira mit einem Elf eingelassen hatte und ihre Tochter dadurch nur eine Dämonin zweiter Klasse war?
    Dennoch waren Lerajas Fähigkeiten denen mancher reinrassiger Unterweltler um ein Vielfaches überlegen, was wohl damit zu tun hatte, dass ihre Mutter die mächtigste Dämonin des Reiches war. Leider hatte Leraja ihren Vater nie kennengelernt und ihre Mutter redete nicht über ihn.
    »Ich verlasse mich auf dich und deine besonderen Fähigkeiten, Tochter«, erinnerte sie Xira noch einmal mit Nachdruck und zwang Leraja mental, ihr in die schwarzen Augen zu sehen, deren Iriden sich zu bewegen schienen wie dunkles Wasser. Die Augenfarbe und vereinzelte, silberne Strähnen in Lerajas blondem Haar waren die einzigen Merkmale, die sie und ihre Mutter wirklich voneinander unterschieden. Tatsächlich sahen sie sich fast so ähnlich wie Zwillinge, nur dass Leraja vielleicht noch ein wenig feinere Gesichtszüge besaß. Elfengleich eben. Außer, Xira zeigte sich in ihrer wahren dämonischen Gestalt, was sie aus reiner Eitelkeit allerdings selten tat. Dann hatte die Fürstin nämlich eher Ähnlichkeit mit einer Ziege. Meckerziege nannte Leraja ihre Mutter deshalb oft. Natürlich nur in Gedanken.
    »Das wird deine Prüfung sein, ob du als zukünftige Herrscherin taugst. Wir alle verlassen uns auf dich, finde den verdammten Kelch!« Mit diesen Worten entließ die Herrscherin sie.
    Die Verantwortung lastete schwer auf Leraja, als sie durch den großen Saal schritt, die Schultern gestrafft und den Blick auf die große Flügeltür gerichtet. Zwei Wachen mit rattenähnlichen Köpfen öffneten ihr.
    Als sie allein in einem in den Fels gehauenen Gang stand, der nur durch wenige Fackeln erleuchtet wurde, fluchte sie leise. Ihr Blut pulsierte vor Aufregung so laut durch ihre Ohren, dass sie kaum klar denken konnte. Endlich konnte sie allen beweisen, dass sie eine erstklassige Dämonin war. Doch wo sollte sie nur die Suche nach dem Kelch beginnen?
    Sie entschied sich für New York, wo sich die Spur verloren hatte. Mit der Hand beschrieb sie einen Kreis an der Wand. Es knisterte und roch nach Ozon, als ein bläulich schimmerndes Portal erschien. Jetzt sah es so aus, als befände sich in der Felswand ein riesiges Guckloch, dessen Rand mit einem blauen Feuer gesäumt war. Es gab den Blick auf ein hohes Geländer aus Metall frei.
    Als Leraja hindurchstieg, schloss sich das Tor hinter ihr sofort. Sie befand sich genau dort, wo sie sich hingewünscht hatte: auf dem oberen Aussichtsdeck des Empire State Buildings in New York. Da es Nacht war, hielt sich niemand mehr dort auf.
    Vor Kurzem hatte ein Informant ihr mitgeteilt, dass aus einem Laden in Chinatown die erste Zutat für den Kelch entwendet worden war. Da die »andere Seite« längst Bescheid wusste, ergab es keinen Sinn, nach weiterem Drachenblut zu suchen, das für die Dämonen sehr wertvoll war, weil damit die schwärzesten Zauber gelangen. Es würde nichts mehr zu finden sein. Verdammt, die anderen waren einfach immer schneller! Zu blöd, dass sie nicht eher von dem Laden erfahren hatten. Angeblich hatte der Chinese die Truhe verwahrt, welche die Engel dem Besitzer eines Dämonenklubs abgenommen hatten. Mustaff versteckte sich seitdem; zu groß war die Schmach.
    »Versager«, murmelte Leraja, worauf sich ihr Magen verkrampfte. Sie wollte nicht, dass sie ein ebenso peinliches Schicksal ereilte.
    Kühler Wind blies ihr das blonde Haar aus der Stirn, als Leraja zum gewaltigen Sendemast hochschaute, der die Spitze des Gebäudes bildete und mit weißen Scheinwerfern angestrahlt wurde. Sie liebte es, an der Oberfläche zu sein und sie liebte diesen Sündenpfuhl, denn in New York gab es besonders viele verdorbene Seelen – was wenig Arbeit für sie
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