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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie unterrichtet, Herr Haller, welche Veränderungen hier ab sofort vorgenommen werden. Der Deutsche Entwicklungsdienst ist sehr daran interessiert, aus Nongkai ein Paradebeispiel für tropische Medizin zu machen. Ich bin zum Chefarzt ernannt worden. Wir können in den nächsten Tagen alles Technische besprechen.«
    »Warum in den nächsten Tagen?« Haller lächelte Dr. Muthesius freundlich an. Welch ein gelackter Affe, dachte er. Man wird ihn zweimal durch den Schlamm des Nongnong ziehen müssen, ehe er halbwegs hierher paßt. Er hob sein Handgelenk und blickte auf die Uhr. »In einer Stunde ist Visite. Fangen Sie an.«
    Dr. Muthesius zog eine Packung aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an. Er schielte zu den einheimischen Ärzten hinüber, die sich im Hospitaleingang versammelt hatten. Sie betrachteten ihre deutschen Kollegen mit spürbarer Abneigung.
    »Wir haben gesehen, daß über dem Eingang das Schild ›Dr.-Haller-Hospital Nongkai‹ steht«, sagte Dr. Muthesius sehr betont. »Bitte mißverstehen Sie uns nicht, Herr Haller, aber …« Er machte wieder einen tiefen Zug. »Wir waren beauftragt, das zuständige Ministerium in Rangun darauf hinzuweisen, daß Sie keine Approbation besitzen. Der neue Name dieses Hospitals lautet: ›Deutsches Lepraforschungszentrum Nongkai‹.«
    »Das ist gut«, sagte Haller ruhig. »Deutsch ist immer gut! Ein Name mit Deutsch repräsentiert Ordnung.« Er sah Dr. Muthesius, der unsicher wurde, starr an. »Ist Ihnen auch bekannt, daß ich bis zuletzt bestritten habe, den Abortus gemacht zu haben?«
    »Sie sind verurteilt worden«, antwortete Muthesius steif. »Wegen Totschlags, nicht wegen eines Kunstfehlers als Chirurg.«
    Haller winkte. Siri griff in die Druckstange des Rollstuhls. »Seit neun Jahren hat sich nichts geändert. Immer noch diese verdammte Hochnäsigkeit! Dieser verfluchte, längst faule akademische Dünkel! Aber bitte – fangen Sie an! Ich bin zwar ein erbärmlicher Krüppel, aber mich bekommen Sie hier nicht weg.«
    Oberst Donyan, der nichts verstanden hatte, weil die Unterredung in deutscher Sprache geführt wurde, trat zu Haller. »Was ist?« knurrte er. »Soll ich dem Affen eine runterhauen?«
    »Machen Sie sich nicht unglücklich, Donyan!« Haller winkte ab. »Nach dem Gesetz hat er ja recht! Ein geächteter Mediziner – das ist für die Kollegen schrecklicher als eine verseuchte Ratte.«
    Er wollte sich weiterrollen lassen, aber Muthesius hielt ihn mit einer Armbewegung auf. »Ich habe noch einen Brief für Sie, Herr Haller.«
    »Zerreißen Sie ihn und werfen Sie ihn weg. Mich interessieren keine Briefe. Ich habe über neun Jahre ohne sie gelebt.«
    »Auch diesen? Er kommt von einem Fräulein Bettina Berndorf.«
    »Bettina?« Hallers Stimme wurde unsicher. »Geben Sie her!« Er blickte sich schnell um. Siris Augen waren schwarz geworden. Wenn sie nichts verstanden hatte, den Namen hatte sie gehört. »Woher kennen Sie Bettina?«
    »Ich traf sie in Hamburg vor unserem Abflug.« Dr. Muthesius reichte Haller den Brief hinüber. »Es geht ihr gut. Sie arbeitet in Eppendorf. Sie hat Ihnen zwölfmal geschrieben und keine Antwort erhalten.«
    »Ich habe keinen Brief bekommen.«
    »Der Briefträger kommt anscheinend nur einmal jährlich nach Nongkai«, versuchte Muthesius einen lahmen Scherz. »Wo können meine Begleitung und ich wohnen?«
    »Dr. Butoryan wird Sie in alles einweisen. Siri – nach Hause!«
    Sie nickte stumm und schob Haller hinunter auf die Straße. Muthesius blickte ihnen nach und wandte sich dann zu Oberst Donyan.
    »Eigentlich ein armer Kerl«, sagte er auf englisch. »Was meinen Sie?«
    »Nichts!« antwortete Donyan grob. »Ob der Mann wirklich so arm dran ist – Sie werden es noch erfahren, Doktor.«
    Bettinas Brief war kurz. Haller las ihn, während Siri ihm die Beine massierte. Sie kniete vor ihm und blickte zu ihm hoch.
    »Mein Liebster,
    ich hoffe, daß Dr. Muthesius Dich einigermaßen gesund vorfindet und diesen Brief überbringt. Ich habe für Dich alles mobil gemacht, was man nur mobil machen konnte. Einer der besten deutschen Anwälte hat jetzt herausbekommen, daß bei der Staatsanwaltschaft in Hannover eine Aussage liegt, die vor sechs Jahren dort aktenkundig gemacht wurde. Eine Frau Lotte Mertsch, die Schwester von Dora Brander, hat nach einem Autounfall ausgesagt, daß ihre Schwester damals von Dir aus zu einem anderen Arzt gegangen ist, der den tödlichen Eingriff vornahm. Sie hatte gemerkt, daß Du nur simuliert
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