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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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weiß nicht, wo Siri ist.«
    »Sie war in der Nacht bei dir!«
    »Ja.«
    »Mit dem Brief!«
    »Sie hat ihn vorgelesen …«
    »Und?«
    »Sie weiß, daß du nach Deutschland fahren mußt.«
    »Das ist doch Blödsinn!« schrie Haller. »Ich fahre nicht! Was soll ich jetzt noch mit einer Rehabilitierung? Was nützt es mir, wenn mich alle Welt als einen Justizirrtum feiert? Und dann? Dann sitze ich in Hannover in meinem Rollstuhl und füttere die Tauben! Ich kann mir mit den neuen Urkunden die Wände tapezieren, das ist alles! Minbya – wo ist Siri?«
    »Ich weiß es nicht, Herr. Sie ist weggelaufen, einfach weggelaufen, wie ein trotziges Kind. Sie will dir nicht im Wege stehen.«
    »Mein Weg ist hier zu Ende! Auch wenn ein Doktor Muthesius erscheint und mich an die Luft setzt, ich bleibe in Nongkai, in meiner Hütte. Ich habe an das Leben nur noch den Anspruch, zu leben. Wo ist Siri?«
    »Such sie, Herr.« Minbya breitete die Arme aus. »Nicht nur dein Herz weint, auch ein Vaterherz kann bluten.«
    An diesem Tag war die Arbeit in Nongkai so gelähmt wie Hallers Beine. Die Ärzte weigerten sich, mit dem neuen deutschen Team zu arbeiten. Doktor Muthesius mit seiner Mannschaft stand hilflos einem allgemeinen Boykott gegenüber. Auch die Übergabeverhandlungen fanden nicht statt, denn als Muthesius bei Haller im Hospital erschien, um sich zu beschweren, hätte der ihm beinahe ein Whiskyglas an den Kopf geworfen. Das war keine feine kollegiale Art, aber von Haller erwartete man nichts anderes. Selbst Oberst Donyan, der, von der Regierung beauftragt, für die ordnungsgemäße Übergabe zu sorgen hatte, erreichte nichts und ließ sich von Haller anbrüllen wie ein Rekrut.
    »Suchen Sie Siri!« schrie Haller. »Alles andere interessiert mich nicht! O Himmel, könnte ich meine Beine gebrauchen! Donyan, Sie haben einmal gesagt, daß Sie mein Freund sind. Beweisen Sie es jetzt: Bringen Sie mir Siri wieder!«
    »Wo soll ich sie suchen?« Donyan hob hilflos die Schultern. »Im Dschungel? Doc, Sie haben sich selber wochenlang im Dschungel verborgen gehalten und wissen, daß man dort niemanden findet, der nicht gefunden werden will.«
    »Lassen Sie ausrufen, daß ich hierbleibe.«
    »Bleiben Sie denn hier?«
    »Ja!«
    »Das wird allein Dr. Muthesius entscheiden.« Donyan tat es weh, Haller noch einmal so brutal auf die veränderte Lage hinzuweisen. »Nongkai wird ein Lepraforschungszentrum unter deutscher Leitung. Die Regierung hat Dr. Muthesius alle Vollmachten gegeben. Was hier geschieht, wird von Dr. Muthesius abhängen. Ich glaube kaum …«
    Donyan schwieg. Aber Haller brauchte den Schluß des Satzes nicht zu hören.
    »Ich werde mir eine Hütte außerhalb des Dorfbereiches bauen. Vielleicht am Nongnong. Wo soll ich denn sonst hin, Donyan?«
    »In Ihre deutsche Heimat.«
    »Sagten Sie Heimat?« Haller lachte bitter. »Der Dschungel ist meine Heimat, wenn Sie so wollen. Und Siri! Bringen Sie mir Siri wieder!«
    Dr. Muthesius saß tatenlos herum, rot vor Ärger. Gegen Abend entschloß er sich, auf eigene Faust die Visite bei den bettlägerigen Kranken zumachen. Wo er auftauchte, in jedem Zimmer, in jedem Krankensaal, verließen die Schwestern und Pfleger stumm den Raum. Die Ärzte, die er ansprach, blickten durch ihn hindurch, als sei er Glas. Die anderen deutschen Ärzte, die die Hütten der Leprösen inspizierten, prallten auf schweigsame Kranke, die keine Antwort gaben und um sich schlugen, wenn man ihre Geschwüre oder Knoten ansehen wollte. Die deutschen Schwestern saßen verstört herum, und die Oberschwester kam zitternd vor Wut aus dem OP und berichtete, der Oberpfleger Pala habe vor ihr ausgespuckt.
    »So geht es nicht, Jungs«, sagte Dr. Haller am Abend zu seinen Ärzten. Alle standen in seiner Hütte, dicht an dicht, Ärzte, Pfleger, Schwestern, an der Spitze der kleine, dicke Dr. Butoryan mit seiner ewig rutschenden Hornbrille. »Der Betrieb muß weitergehen.«
    »Nur unter Ihnen, Doktor!« sagte Dr. Singhpur für alle.
    »Ihr lieben Idioten!« Haller lächelte gequält. »Arbeitet ihr für mich oder seid ihr für die armen Kranken da? Die Lepra kümmert sich einen Dreck darum, ob hier ein Dr. Haller oder ein Dr. Muthesius ist. Mit eurem Boykott helft ihr nicht mir, sondern der Krankheit. Kinder, macht weiter wie bisher. Ihr seid Ärzte und Helfer. An etwas anderes sollt ihr nicht denken.«
    Bei Sonnenuntergang lief es im Hospital wieder reibungslos wie bisher. Dr. Muthesius und seine deutschen Ärzte verstanden die
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