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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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117! Es ist gespenstisch.«
    »Sie kannten jeden beim Namen, Doc?«
    »Nicht nur das. Ich war allen wie ein Bruder. O Himmel, ist das zum Kotzen!«
    »Fliegen wir morgen?« fragte Donyan. Haller sah ihn an. Seine Augen waren ohne Glanz. Siri würde nicht wiederkommen, solange er in Nongkai war. Sie wollte ihm den Weg frei machen nach Deutschland. Das hatte er jetzt begriffen, und er begriff auch, daß es darüber keine Diskussion mehr gab, keine Aussprache, keine Überlegungen.
    »Wie kann ein Mensch bloß so lieben«, sagte Haller mit trockener Zunge. »Donyan – ich weiß, wie Siri mich liebt.«
    »Das beweist sie Ihnen jetzt. Sie müssen nach Deutschland!«
    »Ich kann nie wieder dort anfangen, wo man mich herausgerissen hat.«
    »Aber Sie können sich endlich von allem Dreck reinwaschen.«
    »Wem nützt das noch? Mir?«
    »Vielleicht. Wenn Sie wieder gehen lernen – bei den therapeutischen Möglichkeiten, die Sie in Europa haben, bei den Fortschritten der Medizin, die sich ja immer zuerst in Europa und Amerika auswirken …«
    »Sie glauben daran, daß diese Beine mich jemals wieder herumtragen werden?«
    »Ja!« sagte Donyan und meinte es ehrlich. Haller umklammerte die Lehnen seines Rollstuhles. Irgendwie lebte auch in ihm die Hoffnung, aber sobald er medizinisch dachte, erlosch dieser Funken.
    »Sie werden Siri sehen?« fragte er langsam.
    »Wenn Sie weg sind, sicherlich. Dann kriecht sie ja aus ihrem Fuchsbau.«
    »Sagen Sie ihr, daß ich sie liebe. Daß diese Liebe unendlich ist wie der Himmel. Und sagen Sie ihr, daß ich wiederkomme, wenn ich meine Arbeit in Deutschland getan habe.«
    »Sie fliegen?« sagte Donyan. Plötzlich versagte seine Stimme. »Doc – wir können morgen nach Homalin fahren?«
    »Ja. Ich muß wohl. Soll Siri im Dschungel verfaulen?«
    Sein Kopf sank auf die eingefallene Brust. Oberst Donyan trat hinter den Rollstuhl und rollte Dr. Haller zurück zu seiner Hütte.
    Keine Glocke läutete zum Abschied, kein buddhistischer Gong dröhnte über Nongkai, als man Haller am nächsten Morgen in Donyans Jeep hob. Aber links und rechts der Straße, die hinaus zum Tor führte, standen alle Menschen von Nongkai, nur mit ihren Lendentüchern bekleidet, die Frauen mit nacktem Oberkörper, eine Ansammlung angefressener Leiber und knotiger Haut, deren Schrecklichkeit von der blanken Morgensonne noch hervorgehoben wurde.
    Alles, was diese Menschen sonst am Körper trugen, lag auf der Straße. Ein Teppich aus Tüchern und Kleidern, ein buntes Mosaik, das den ganzen Fahrweg bedeckte. Minbya sagte es mit zitternder Stimme:
    »Herr, zieh hinaus auf unseren Körpern – sie gehören dir …«
    Haller lehnte sich zurück. Er konnte nicht sprechen, seine Stimme war ertrunken, er weinte nach innen und umklammerte irgend etwas in dem Jeep, nur um mit dem Druck seiner Hände seine inneren Spannungen loszuwerden. Donyan, der vor ihm saß, ließ den Motor an.
    Auf der Treppe standen Dr. Muthesius und seine deutschen Ärzte. Sie winkten Haller zu, so wie man einen netten Besuch verabschiedet. Es war ein Hinauswinken, das im Grunde nichts anderes meinte, als: Nun mach schon! Hau ab! Wenn du weg bist, wird hier alles anders.
    Langsam setzte sich der Jeep in Bewegung und rollte über den Kleiderteppich. Die Kranken und Gesunden von Nongkai senkten die Köpfe, als Haller an ihnen vorbeifuhr, ein paar Frauen knieten nieder und beteten.
    »Ich komme wieder«, rief Haller in die Menge. Er drehte den Kopf nach links und rechts und rief immer das gleiche: »Ich komme wieder! Ich komme wieder! Ich komme wieder!« Und je näher sie dem Tor kamen, um so lauter wurde, seine Stimme, schließlich war es so, als ob er seine Seele hinausschrie: »Ich komme wieder! Glaubt es mir!«
    Am Tor standen seine Ärzte, Schwestern und Pfleger in blendendweißen Kitteln. Dr. Butoryan hielt mit beiden Händen seine Brille fest, Kalewa und Singhpur lehnten aneinander, als seien sie wie siamesische Zwillinge zusammengewachsen. Sie waren keine Ärzte mehr, sondern Kinder, die ihren Vater verloren.
    Stumm senkten auch die Ärzte die Köpfe, als Haller an ihnen vorbeifuhr. Nur Butoryan behielt den Kopf oben.
    »Warte auf mich, Butoryan!« sagte Haller. »Warte!«
    »Ja, Chef, ja«, stammelte Butoryan. Dann ließ er seine Brille los, sie fiel auf die Erde und zerbrach.
    »Endlich!« sagte Haller. »Endlich! Das scheußliche rutschende Ding!«
    Im Torbogen standen der buddhistische Mönch und Pala. Auch der Mönch war nackt bis auf ein Lendentuch,
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