Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
stehen und verschwand dann.

    Fasziniert sprang ich von meinem Platz bei dem Feuer auf, die Schüssel hielt ich noch in einer verzweifelt kindlichen Geste an die Brust gepresst.
    Der Wind legte sich. Asrael war nirgends zu sehen, und dann erhob sich der Wind abermals, diesmal heiß, wie der Glut-hauch eines Backofens.
    Asrael stand auf der anderen Seite der Feuerstelle und schaute mich an. Trug immer noch das weiße Hemd und die dunkle Hose, und unter dem offenen Hemdkragen kräuselte sich immer noch das dichte, schwarze Brusthaar wie zuvor.
    »Werde ich nie nefesh sein?«, stöhnte er. »Das bedeutet, Körper und Seele sind eins.«
    Ich kannte das hebräische Wort.
    Ich drückte ihn auf einen Stuhl nieder. Er murmelte, Wasser könne er trinken. Alle Geister könnten das, sagte er, und au-
    ßerdem sögen sie den Duft der Opfergaben ein, und aus dem Grund würden bei den alten Kulturen Trankopfer erwähnt, und Weihrauch, Brandopfer und der von den Altären aufsteigende Rauch. Dann trank er das Wasser, das ich ihm reichte, und das schien ihn ein wenig zu beruhigen.
    Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück - einem von meinen ris-sigen, brüchigen Ledersesseln -, ohne die abgenutzte, ver-schlissene Oberfläche zu beachten. Er legte die Füße auf den steinernen Rand der Feuerstelle, dabei sah ich, dass seine Schuhe noch nass waren.
    Ich beendete meine Mahlzeit, räumte das Geschirr ab und setzte mich dann mit Esthers Bild in der Hand zu ihm.
    Um diesen runden Kamin hätten sechs Leute sitzen können; wir beide saßen nun dicht beisammen, sehr dicht, er mit dem Rücken zum Schreibtisch, die Tür im Hintergrund, ich vor der wärmeren, dämmrigen Zimmerecke in meinem Lieblingssessel mit den ausladend gerundeten Armlehnen und den durchsak-kenden Sprungfedern, der mit Wein- und Kaffeeflecken übersät war.
    Ich betrachtete Esthers Bild, das die halbe Zeitungsseite einnahm, und darunter die wieder aufgerührte Geschichte von ihrem Tod, die wegen Gregory Belkins Untergang nochmals hervorgekramt worden war.

    »Er hat sie getötet, nicht wahr?«, fragte ich. »Das war der erste Anschlag.«
    »Ja«, antwortete Asrael.
    Es erstaunte mich, dass seine Augenbrauen so dicht und schön geschwungen und düster brütend waren und sein Mund doch so weich wirkte, als er jetzt lächelte.
    Es gab kein Double, das an Esthers statt starb. Belkin tötete seine eigene Stieftochter.
    »Weißt du, in dem Augenblick trat ich in Erscheinung«, fuhr Asrael fort, »das war der Moment, der mich der Dunkelheit entriss, als habe mich der Meister aller Beschwörer gerufen -
    nur dass da kein Meister war. Ich erschien in meiner vollständigen Gestalt, hastete eine New Yorker Straße entlang, nur um Zeuge ihres Sterbens, dieses grausamen Sterbens zu werden und um die zu töten, die Esther getötet hatten.«
    »Du meinst diese drei Männer? Die drei, die Esther Belkin erstochen hatten?«
    Darauf antwortete er nicht. Es fiel mir wieder ein: Die drei Kerle waren mit ihren eigenen Eispickeln getötet worden, nur ein-einhalb Straßen entfernt vom Tatort. An dem Tag hatten sich die Menschenmassen auf der Fifth Avenue so dicht gedrängt, dass kein Mensch auf die Idee kam, der Tod dieser drei Schurken könne mit dem Mord an dem Mädchen zusammenhängen, das in Henri Bendels Modesalon starb. Erst am Tag danach verrieten die Eispickel ihre blutige Geschichte, denn an allen dreien klebte Esthers Blut, doch an einem noch zu-sätzlich das der Handlanger Belkins. Jemand hatte sie mit ihrer eigenen Waffe niedergemacht.
    »Ich dachte damals, das gehöre mit zu Belkins Plan«, sagte ich. »Er behauptete doch, sie sei von Terroristen getötet worden, und ich dachte, die Killer wiederum ließ er erledigen, um seiner Lüge Glaubwürdigkeit zu verleihen.«
    »Nein, er wollte, dass die Killer davonkamen, damit der Hinweis auf Terroristen glaubwürdiger war. Doch ich materialisierte mich, und ich tötete sie.« Er schaute mich an. »Esther hat mich gesehen, bevor sie starb, sie sah mich durch das Fenster des Krankenwagens, mit dem man sie fortbrachte, und sie sagte meinen Namen, ›Asrael‹.«

    »So hat sie dich also gerufen.«
    »Nein, sie hatte keine Zauberkraft; sie kannte die Formeln nicht. Und die Gebeine, deren Sklave ich war, hatte sie nicht in ihrem Besitz.«
    Er sackte in dem Sessel zusammen. Schweigend schaute er in die Flammen, seine Augen mit den dichten, gebogenen Wimpern blickten wild, die kraftvoll geformte Stirn und die energische Linie seines Kiefers traten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher