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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit
Autoren: L Jensen
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meine
es
. In Ihnen drin. Unseren kleinen Freund. Echt blödes Timing!« Sie prustet los.
    |391| Ich verstehe sie nicht. Ich werfe einen Blick zu Frazer Melville, der sich mit blassem Gesicht gegen die Kiste stemmt. In diesem Augenblick wird mir klar, was Bethany gesagt hat. Die Wahrheit hinter ihren Worten. Wie konnte ich nicht erkennen, wozu das, was wir taten, geführt hat?
    Oh mein Gott. Nicht jetzt. Mein Herz befindet sich im freien Fall.
    Und dann macht es aus unerfindlichen Gründen einen frohen Sprung.
    »Sie wissen, wohin Sie mit dem Baby gehen?«, flüstert Bethany heiser. Ich nicke. In einem winzigen Aufschimmern der Zeit wird mir klar, dass ich es schon immer gewusst habe. Ihr Mund verzieht sich. Hinter der Grimasse des Schmerzes liegt etwas, das man für Ekstase halten könnte. Sie schaut hinaus in die knochenbleiche Luft, das pulsierende, schwindelerregende Weiß.
    »Alle zurück!«, schreit jemand. Die Männer drücken rhythmisch gegen die Kiste, schieben sie zentimeterweise an die Kante, bis sie das riesige Rechteck mit einer letzten gemeinsamen Anstrengung weit genug hinausschieben. Die Kiste ist jetzt halb draußen, zögert, kippt und fällt. Sie verschwindet, und der Hubschrauber neigt sich gefährlich zur Seite. Er scheint die Balance zu verlieren. Wieder werden wir zur Seite geschleudert. Ich umklammere Bethanys Schulter und mache die Augen zu.
    Als ich sie wieder öffne, sehe ich Harish, Frazer Melville und Kristin, die einander an der gegenüberliegenden Wand in einem seltsamen Triptychon umfangen halten und auf die Wasserwand starren – schmutzig, schäumend, schwarz, beladen mit Autos, Bäumen, Trümmern und menschlichen Körpern   –, die mit der Geschwindigkeit eines Jumbojets auf uns zuschießt. Mit einem heftigen Ruck steigt der Hubschrauber senkrecht in die Luft, der Pilot hämmert auf die Instrumente, während sich unter uns das Wasser entzündet. Das Feuer breitet sich gierig aus, als würde es reines Öl verschlingen. Gelbe Flammen schießen aus der Gischt empor und lösen sternförmige Gasexplosionen aus. Mit |392| einem kehligen Brüllen ergießt sich die Welle über die Landschaft, zermalmt Häuser und verwandelt Bäume in Streichhölzer. Während ihre Gewalt uns nach oben katapultiert, schrumpft die Welt da unten zu einem brutal beredsamen Bild: Ein unermesslicher Teppich aus Glas breitet sich aus, weißglühend, und an seinen Rändern steigen pudrige Wolken auf, teils fest, teils flüssig, teils gasförmig – ein monströses Gebräu der Elemente, das tief aus dem Bauch der Erde gestiegen ist. Man hört ein sanftes, nachgiebiges Knirschen, als Gebäude sich neigen, untergepflügt werden und im Sog verschwinden. Nur wenige Wolkenkratzer ragen stolz aus der brennenden Wasserfläche, während das Land um sie herum erbarmungslos und gründlich ausgelöscht wird. Die Hitze ist unerträglich, als wäre die Sonne selbst ins Wasser gestürzt und würde uns von unten bescheinen. Man kann kaum atmen. Es stinkt nach verbranntem Holz, geschmolzenem Plastik, zerkochtem Fleisch und Meerestieren. Regenbogen tanzen über der pulsierenden Flut. Noch nie habe ich etwas so Schreckliches gesehen.
    »Es ist wunderbar«, sagt Bethany. Wie gebannt starrt sie hinaus. »Sie werden es nie vergessen. Auch mich werden Sie nie vergessen. Das weiß ich.« Das seltsame Licht macht ihr Gesicht durchscheinend und geisterhaft wie Reispapier.
    »Wir kommen hier raus, landen an einem sicheren Ort, und dann wirst du behandelt«, sage ich. Doch als der Hubschrauber einen Bogen beschreibt und die Richtung ändert, wird mir klar, dass ich sie missverstanden habe. Ganz und gar, völlig   …
    »Nein, Bethany!«
    Ich strecke den Arm nach ihr aus, doch sie ist schon losgerollt. Geradezu lässig, tänzerisch und ruhig. Ein geschmeidiges, wohlüberlegtes Rotieren. Sie hat die Augen weit geöffnet. Sie weiß, was sie tut.
    Ich schreie, aber kein Laut dringt aus meinem Mund. Ich schreie noch einmal, diesmal lauter. Bei dem kreischenden Motorenlärm hört mich niemand.
    |393| Bethany rollt weiter bis zur Kante der Welt.
    Und darüber hinaus.
    Der Kamm der Riesenwelle ist weitergezogen und hat ein gläsernes Tuch hinterlassen, flüssige Flammen, auf denen verkohlte Leichen und schwarze Trümmer hüpfen, ein scheußlicher, zischender Eintopf aus Wasser, Gas und Hitze. Meine Augen folgen der Spur des fallenden Mädchens, das sich vor der blendenden Helligkeit dort unten abzeichnet. Als die Hitze des Schmelzofens nach oben
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