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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit
Autoren: L Jensen
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haben unser Bestes getan, deine Mutter und ich. Gott gebe ihrer geliebten Seele Frieden.«
    »Am Ende mussten sie mich ausziehen und drei Tage lang statt nur für ein paar Stunden an die Treppe binden.« Die Frau neben mir hält die Luft an. »Ich sehe, dass einige von Ihnen schockiert sind, aber es war doch nur zu meinem Besten, Dad, nicht wahr?« Leonard Krall tritt vor, offenkundig entsetzt, doch sie bremst ihn mit einer Handbewegung. »Nein, Dad, ich möchte ihnen erzählen, was du alles versucht hast, um mich vor mir selbst zu retten! Lass mich ihnen erzählen, was du und Mum im Namen des Herrn getan habt!«
    »Ja, lass es uns hören!«, ruft eine Männerstimme.
    Bethany ist jetzt in ihrem Element. Ihre Stimme wird fester und lauter, ihr Schritt schneller, bis sie über die Bühne springt, beinahe tanzt. »Ihr musstet mich drei ganze Tage dort lassen. Ich habe auf den Boden geschissen und gepisst. Ihr konntet mich nicht essen oder schlafen lassen. So stark war eure Liebe, dafür muss ich euch bewundern!« Mit heftigen Gesten bedeutet Krall einem Techniker, ihr Mikrofon abzuschalten. Man hört ein Knistern und dann ein schrilles Pfeifen, aber sie spricht weiter. »Ihr musstet den Teufel in mir austreiben, weil der Teufel nicht an die wüste, leere Erde glaubt und die Finsternis über der Tiefe und den ganzen Scheiß. Tatsache ist aber, der Teufel glaubt, was er in der Schule gelernt hat, weil es
verdammt noch mal einen Sinn ergibt, Dad.
« Ein kollektives Keuchen. Ein Mann brüllt etwas Unverständliches, und der Wachmann neben mir ballt die Fäuste. Krall starrt seine Tochter mit offenem Mund an.
    »Bethany, du weißt, dass es nicht so war!«
    »Doch, so war es, genau das ist passiert, Dad, und das weißt du auch. Und   …« Mit einem hässlichen elektronischen Kreischen verstummt Bethanys Mikrofon. Sie brüllt noch einige Sekunden tonlos, stürzt sich dann mit einer raschen, abrupten Bewegung |383| auf ihren Vater und reißt ihm das Headset herunter. Er ist zu verblüfft, um zu reagieren, und steht reglos da, während sie um ihn herumtanzt, als liefe sie über glühende Kohlen, und in das Headset in ihrer Hand brüllt.
    »Ja! So war es! Aber es hat nicht funktioniert, oder?« Ihr Gesicht leuchtet vor Zorn. »Also habt ihr, du und Mum, angefangen, meinen Kopf zu schütteln, weißt du noch? So treibt man den Teufel aus, stimmt’s? Man packt abwechselnd den Kopf seines Kindes und schüttelt ihn so fest, dass es sich anfühlt, als würde das Gehirn herausquellen. Aber ihr konntet das böse Ding nicht vertreiben! Es ist noch immer hier drin, Dad! Und weißt du auch, warum? Weil es nicht der Teufel ist. Ich selbst bin es! Bethany! Ich bin nur Bethany. Hier drin ist kein Teufel und kein Gott. Es gibt nur mich, das ist alles. Nur
mich
, verfluchte Scheiße.«
    Mit einem lauten Knacken wird auch dieses Mikrofon ausgeschaltet. Bethany bleibt stehen und sieht ihren Vater unverwandt und trotzig an. Das eingelullte Publikum erwacht, und es werden Rufe der Empörung und Verzweiflung laut. In den vorderen Reihen springen mehrere Männer auf und sehen sich fragend um. Sie wissen nicht, was sie tun sollen, auf einmal scheint es niemanden mehr zu geben, der die Führung übernimmt. Am allerwenigsten Leonard Krall. Die Frau neben mir fächelt sich mit ihrem Hymnenblatt hektisch Luft zu. Unsere Ordnerin eilt zu einer Gruppe gelb gekleideter Kollegen. Ich hätte ahnen müssen, dass Bethany der Versuchung nicht widerstehen könnte. Dass sie alles getan hätte, um diese Konfrontation herbeizuführen. Doch als ich sehe, wie Leonard Krall vor ihr zurückweicht, kreidebleich im Gesicht, fassungslos angesichts ihres ungeheuerlichen Verrats, begreife ich, dass es nicht weiter schwer gewesen sein dürfte, ihn zu diesem Gespräch vor den Mikrofonen zu bewegen.
    Sie hat ihrem Vater nur gesagt, was er hören wollte.
    Und er in seiner Eigenliebe hat daran geglaubt.
    Kein Wunder, dass sich ihr Gesicht nun zu einem Grinsen verzieht. Bethany spürt die Größe des Publikums und das ganze Ausmaß |384| ihrer Macht, und das verleiht ihr Kraft. Ich erkenne es deutlich. Genau wie Joy McConey. Ich höre, wie sie »Nein!« schreit.
    Als hätte der Schrei den Bann gebrochen, werden die Prediger aktiv. Drei von ihnen rennen zu Krall, und es folgt ein rascher, eindringlicher Wortwechsel, während sie auf die lächelnde Bethany zeigen. Krall nickt schockiert, worauf zwei Sicherheitsleute sie unter den Achseln fassen und die winzige Gestalt mühelos
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