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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit
Autoren: L Jensen
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und richtet sich wieder auf, doch schon folgt der nächste Tritt, weiter oben, und bringt das ganze Gebilde zum Einsturz. Es zerbricht, und ein Sturzbach aus Blumen, Blütenblättern und Scherben ergießt sich auf die Bühne. Die Sicherheitsleute weichen aus, einer gerät ins Stolpern, der Chor schreit auf und ergreift ungeordnet die Flucht. Frazer Melville nutzt das Durcheinander, reißt Bethany hoch und läuft schwerfällig los.
    Ich fahre Leute an, als ich wieder beschleunige, doch das ist mir egal. Ich brülle, sie sollen Platz machen, sehen sie denn nicht, dass ich da durchmuss? Mit aufheulendem Motor setzt der offene Hubschrauber wie eine riesige, ungelenke Libelle auf dem Gras auf und verströmt heißen Dieselwind. Links vor mir kommt Frazer Melville herangetaumelt, die Last der bewusstlosen Bethany in den Armen, und stemmt sich gegen den Luftstrom. Der Hubschrauber leuchtet wie eine Fackel, ragt wie ein Haus empor. Durch die Seitenöffnung sehe ich ein Durcheinander aus Menschen, Ausrüstung und Kisten. Fünf oder sechs Männer, zwei von ihnen bewaffnet, springen heraus. Ich erkenne Ned. Ich schreie, er solle mich holen kommen. Hinter ihm ist Kristin, das Gesicht blass und angespannt. Ned hat mich in der Dämmerung |387| noch nicht gesehen, aber ich behalte ihn im Auge, als er Bethany aus Frazer Melvilles Armen nimmt und zusammen mit Kristin an einen der Männer im Hubschrauber weiterreicht. Sie ruft ihm etwas zu und zeigt auf mich. Ich drücke mit aller Kraft gegen die Räder, aber es ist ein verlorener Kampf. Hinter mir höre ich das Trampeln von Füßen, als die Menge herandrängt.
    »Hier drüben!« Meine Stimme geht unter im Motorenlärm, in Geschrei und Musik, doch Frazer Melville hat mich gesehen und rennt keuchend auf mich zu. Ich stemme mich mit letzter Kraft vorwärts, kämpfe mich über den holprigen Rasen. Wir stoßen zusammen. Worte sind nicht nötig, wir wissen beide, was zu tun ist. Er dreht sich um und geht auf die Knie, mit dem Rücken zu mir, damit ich die Arme um seinen Hals schlingen kann. Ich klammere mich fest, und er wuchtet mich hoch, sodass ich an seinem Rücken hänge. Er stützt meinen Körper, duckt sich unter den Wirbelsturm, der über unsere Köpfe fegt, und taumelt auf den Hubschrauber zu.
    Drei Männer heben mich hoch und lassen mich wie einen Sack fallen. Als ich auf den Boden pralle, merke ich, dass ich in die Hose gemacht habe.
    »Mein Stuhl! Ich brauche meinen Stuhl!« Niemand scheint mich zu hören. Frazer Melville liegt auf dem Boden des Hubschraubers und keucht erschöpft. Er schüttelt den Kopf. Es geht nicht. »Bitte, irgendjemand muss ihn holen! Ich brauche ihn!«
    Ich heule auf, weil ich nicht ohne ihn leben kann.
    Zu spät begreife ich, dass Lieben und Brauchen dasselbe sein kann.
    Der Hubschrauber erbebt, und die Welt, die ich durch die Türöffnung sehe, scheint zu kippen. Vom beleuchteten Ende des Stadions strömen die Menschen auf uns zu und winken flehend. Die blondierte Frau im rosa Bademantel ist auch da, das Baby in den Armen. Daneben ihr Mann, er ist ganz schmutzig. Menschen klettern im Sog der Propeller übereinander, um zum Hubschrauber zu gelangen. Dann sehe ich meinen Rollstuhl und schreie auf.
    |388| Mit einer einzigen fließenden Bewegung zieht Ned ihn herein. Er rutscht ein Stück, prallt gegen eine Kiste und bleibt liegen. Ich drücke mich an den Boden und sehe, wie sich die Räder immer weiter drehen, und dann weine ich vor Erleichterung. Ich könnte sie ewig anschauen.
    Der Hubschrauber wackelt, und draußen schreit eine Frau: »Nein! Wartet auf mich!« Ein gewaltiges Schlingern, dann steigen wir ruckartig empor, als würden wir von oben gezogen. Ich sehe das Gesicht der Frau – unscheinbar und rund wie ein Ball – und ihr Entsetzen und ihr Baby und weiß, dass ich den Anblick niemals vergessen werde. Dann noch ein Ruck nach oben, und der seltsam schräge Erdboden verschwindet unter uns. Wir heben ab, aber alles ist gekippt, und der Motor muss kämpfen. Das Gesicht der Frau schrumpft zu einem Nichts, der Schrei aus ihrem offenen Mund ist unhörbar im Lärm der Propeller.
    In schwindelerregendem Tempo verkleinern sich das Stadion und die Verkaufsstände, drehen sich und kippen, als der Hubschrauber über den glitzernden Wasserläufen eine scharfe Kurve fliegt.
    Ich entdecke ein straff angespanntes Seil auf dem Boden und zwei raue Hände, die sich haltsuchend an die Kanten der Türöffnung klammern. Jemand hängt draußen am Hubschrauber. Ein
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