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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit
Autoren: L Jensen
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hochheben. Krall weist sie an, Bethany dort zu lassen. Mit einer abrupten Bewegung, die eine Frau hinter mir aufschreien lässt, reißt sich Bethany los. Sie entkommt dem Griff der Männer und rennt weg. Ohne Vorwarnung überfällt sie ein heftiger Krampf, und sie stürzt wie von einer Kugel getroffen zu Boden. Ihr Körper zuckt epileptisch. Als sich ihre Gliedmaßen wieder entspannen, greift Krall mit neuer Kraft zum Mikrofon.
    »Der Teufel steckt noch immer in ihr!«, ruft er. »Wir müssen ihn austreiben! Betet für sie, ihr Menschen, betet für meine Tochter!«
    Ich greife instinktiv nach meinem Donnerei, doch Frazer Melville hält mich am Arm fest und deutet mit einer Kopfbewegung nach oben. Ich lege den Kopf in den Nacken. Zu sehen ist nichts, aber in der Ferne höre ich das Knattern eines Hubschraubers. Es kommt näher.
    Krall spricht weiter, und seine Stimme gewinnt an Volumen und Selbstbeherrschung, während Bethany mit ausgebreiteten Armen und Beinen wie eine rituelle Opfergabe auf der Bühne liegt. Die Krämpfe haben aufgehört, aber sie zuckt noch leicht. »Fürchtet euch nicht, ihr Menschen! Denkt daran, die Angst ist die Waffe des Teufels!« Krall mustert das Publikum, um die Stimmung einzuschätzen. Einige meiner Sitznachbarn sind verwirrt, andere rebellisch. Misstrauen und Angst wuchern unkontrolliert. Das wird ein hartes Stück Arbeit. »Uns wird das Privileg zuteil, einen historischen Augenblick zu erleben, das Urteil Gottes über den Menschen!« Er bleibt verbissen optimistisch und munter. »Wir in diesem Stadion und in den Kirchen überall |385| im Land sind gesegnet, weil der Herr unsere Hingabe und Liebe anerkennt und uns verschonen wird!« Er reckt die Faust in die Luft.
»Darum frisst der Fluch das Land; denn sie verschulden’s, die darin wohnen. Darum verdorren die Einwohner des Landes, also dass wenig Leute übrig bleiben.«
Bethany liegt reglos da.
    Mein Herz setzt aus. In dem Tumult haben uns die Ordner anscheinend vergessen. Wenn wir es zum Hubschrauber schaffen wollen, müssen wir jetzt handeln.
    »Du holst sie«, sage ich zu Frazer Melville. »Er landet am anderen Ende des Stadions. Wir treffen uns dort.«
    Er nickt. »Ich liebe dich, Gabrielle.«
    »Ich weiß. Und ich   …« Aber er ist schon in der Menge verschwunden.
    »Ja, dies wird ein furchtbarer Ort für jene, die zurückbleiben!«, beharrt Krall. »Lasset uns für sie beten, so wie wir für meine Bethany beten. Lasset uns frohlocken im ewigen Königreich, in das wir alsbald eintreten werden!« Mit erhobenen Händen und ausgestreckten Handflächen ruft er vereinzelte Jubelrufe hervor. Andere aber schreien »Buh!« und »Skandal!«.
    »Wir erwarten deine Entrückung, oh König der Könige, oh mächtiger, oh liebender Gott! In Jesu Namen!« Er spürt die Veränderung und nickt rasch zum Chor hinüber: Sekunden später erdröhnt ohrenbetäubende Musik. Weitere Prediger strömen auf die Bühne, gefolgt von einer zweiten Welle weiß gekleideter Chorsänger, die in die Harmonien einstimmen. Menschen stehen auf, tanzen und wiegen sich und singen aus voller Kehle, während andere sich in einem menschlichen Mahlstrom an ihnen vorbeidrängen, hinauf zu den durchlässigen Rändern des Stadions, und hinausfließen wie Wasser durch ein Sieb.
    Ich greife nach meinen Rädern und schiebe mich vorwärts.
    Bethany liegt noch immer ausgestreckt auf der Bühne, die Blumendekoration schützt sie wie ein riesiger weißer Sonnenschirm. Ich rufe sie, doch es hat keinen Sinn. Sie hat nicht die Kraft, sich zu bewegen, und meine Stimme geht in einer Kakophonie |386| aus Musik, Geschrei und Motorenlärm unter. Ich bin jetzt an der anderen Seite der Bühne angelangt und fahre weiter auf das leere Ende des Stadions zu, wo der Hubschrauber unter dem verschwommenen grauen Kreis seines Propellers nach einem Landeplatz sucht. Ich bewege mich beharrlich darauf zu, kämpfe mich mit den Rädern durchs Gras. Als ich innehalte, um Luft zu holen, und mich umdrehe, sehe ich, dass Frazer Melville endlich bei Bethany ist. Er hält sie unter den Lilien in den Armen und sucht die Menge nach mir ab. Ich gebe ihm ein Zeichen.
Nimm sie. Geh. Jetzt.
Hat er mich gesehen? Keine Ahnung. Er zögert. »Geh!«, schreie ich. Er hievt Bethany hoch und hält schwankend das Gleichgewicht. Zwei Sicherheitsleute kommen angerannt. Einen Moment lang steht er ganz steif da, als könnte er sich nicht bewegen. Dann tritt er mit aller Gewalt gegen die Blumendekoration. Sie schwankt bedrohlich
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