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Endstation Venedig

Endstation Venedig

Titel: Endstation Venedig
Autoren: Shaya
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ihre Symmetrie beruhigend auf sich einwirken.
    Wann können Sie mir Genaueres
    sagen, Ettore?
    Rizzardi warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr.
    Wenn
    Ihre Leute ihn gleich zur Friedhofsinsel rausbringen, kann ich ihn mir heute vormittag noch vornehmen. Rufen Sie mich nach dem Mittagessen an, dann weiß ich mehr. Aber ich glaube nicht, daß es Zweifel gibt, Guido.
    Der Arzt zögerte etwas, weil er Brunetti nicht gern in seine Arbeit hineinreden wollte, dann fragte er: Sehen Sie
    nicht seine Taschen durch?
    Auch wenn er das in seinem Beruf schon viele Male getan hatte, widerstrebte Brunetti dieses allererste Eindringen in die Intimsphäre eines Toten immer noch, diese erste schreckliche Machtausübung des Staates gegenüber denen, die dahingegangen waren. Er haßte es, in ihren Tagebüchern und Schubladen herumstöbern, ihre Briefe durchlesen und ihre Kleidung befingern zu müssen.
    Aber da sich die Leiche ohnehin nicht mehr am Fundort befand, bestand kein Grund, sie unberührt zu lassen, bis der Fotograf die genaue Lage beim Tod festgehalten hätte. Er hockte sich neben den jungen Mann und schob seine Hand in dessen Hosentasche. Er fand ein paar Münzen und legte sie neben ihn. In der anderen Tasche war ein einfacher Metallring mit vier Schlüsseln. Unaufgefordert beugte Rizzardi sich herunter und half, den Toten auf die Seite zu drehen, damit Brunetti in die Gesäßtaschen fassen konnte. In einer steckte ein durchnäßtes gelbes Stück Papier, eindeutig eine Fahrkarte, in der anderen eine Papierserviette, ebenso durchweicht. Er nickte Rizzardi zu, und sie ließen den Körper auf den Boden zurückgleiten.
    Brunetti hob eine der Münzen auf und hielt sie dem Arzt hin.
    Was ist das?
    wollte Rizzardi wissen.
    Amerikanisches Geld. Fünfundzwanzig Cents. In Venedig schien das ein seltsamer Fund in der Tasche eines Toten.
    Ah, das könnte es sein , meinte der Arzt.
    Ein Amerikaner.
    Was?
    Warum er in so guter Verfassung ist , antwortete Rizzardi, oh-ne sich der traurigen Ungereimtheit der Gegenwartsform bewußt zu sein.
    Das könnte die Erklärung sein. Die sind immer so fit, so gesund. Gemeinsam sahen sie den Körper an, die schmale Taille unter dem noch immer offenen Hemd.
    Wenn er Amerikaner ist, erkenne ich es an den Zähnen , sagte Rizzardi.
    Wieso?
    An der zahnärztlichen Arbeit. Sie benutzen andere Techniken, besseres Material. Wenn an den Zähnen etwas gemacht worden ist, kann ich Ihnen heute nachmittag sagen, ob er Amerikaner ist.
    Wäre er nicht Brunetti gewesen, er hätte Rizzardi vielleicht gebeten, sofort nachzusehen, aber er sah keinen Grund zur Eile und wollte auch dieses junge Gesicht nicht noch einmal stören.
    Danke,
    Ettore. Ich schicke einen Fotografen zu Ihnen hinaus, um ein paar Aufnahmen zu machen. Ob Sie wohl seine Augen schließen können?
    Aber sicher. Ich sorge dafür, daß er so natürlich aussieht wie möglich. Aber für die Fotos wollen Sie die Augen doch wohl offen haben, oder?
    Um ein Haar hätte Brunetti gesagt, er wolle diese Augen nie wieder offen sehen, aber er hielt sich zurück und sagte statt dessen: Ja, ja natürlich.
    Und schicken Sie jemanden für die Fingerabdrücke, Guido.
    Ja.
    Gut. Dann rufen Sie mich gegen drei Uhr an.
    Sie gaben sich
    kurz die Hand, und Dr. Rizzardi nahm seine Tasche vom Boden.
    Ohne sich zu verabschieden, ging er über den Platz auf das riesige, offene Portal des Krankenhauses zu, zwei Stunden zu früh bei der Arbeit.
    Während sie die Leiche inspiziert hatten, waren weitere Polizisten gekommen, es mußten inzwischen acht sein, die jetzt in etwa drei Meter Entfernung den Toten in einem Halbkreis abriegelten.
    Sergente Vianello , rief Brunetti, und einer von ihnen trat aus der Reihe und kam zu ihm.
    Nehmen Sie zwei Ihrer Leute, bringen Sie ihn zum Boot, und schaffen Sie ihn nach San Michele hinüber.
    Während das geschah, nahm Brunetti seine Betrachtung der Basilika wieder auf und ließ den Blick über die hochragenden Türmchen gleiten. Dann schaute er über den Campo zur Statue von Colleoni hinüber, die vielleicht Zeuge des Verbrechens gewesen war.
    Vianello trat zu ihm.
    Ich habe ihn nach San Michele bringen
    lassen, Commissario. Noch etwas?
    Ja. Gibt es hier in der Nähe eine Bar?
    Da drüben, Commissario, hinter der Statue. Sie macht um sechs Uhr auf.

    Gut. Ich brauche einen Kaffee.
    Während sie zu der Bar hinü-
    bergingen, begann Brunetti, Anordnungen zu geben. Wir brauchen Taucher, zwei. Sie sollen da anfangen, wo die Leiche gefunden
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