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Endstation Oxford

Endstation Oxford

Titel: Endstation Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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noch den ganzen Nachmittag im Auto sitzen.«
    Bei mir zu Hause wird das Frühstück im Esszimmer eingenommen. Auch wenn man mich als altmodisch belächelt, weigere ich mich, Mahlzeiten in der Küche zu servieren. Heute Morgen zum Beispiel gab es Porridge. Selbstverständlich wurden die Haferflocken in Wasser gekocht und nur ein wenig gesalzen. Mein Tee wird in einer Kanne kredenzt und aus Porzellantassen mit Untertellern getrunken. Hätten Sie etwas anderes erwartet?
    Jetzt werden Sie wieder behaupten, dass ich Selbstgespräche führe. Sie glauben, dass ich meine Einsamkeit mit Fantasiegestalten bevölkere. Sie denken, dass ich mir etwas vormache, wenn ich glaube, dass mir jemand zuhört. Aber ich weiß, dass sich in diesem Raum die Menschen befinden, die mein Leben geformt haben. Und wenn ich Lust habe, sie zu sehen, mich mit ihnen zu unterhalten oder mit ihnen zu streiten, so geht das nur mich etwas an. Natürlich ist mir bewusst, dass sie nur in meinem Kopf existieren, aber das macht sie keineswegs weniger real.
    Oktober. Die schrägen Sonnenstrahlen gleiten über poliertes Holz und Messing, verändern ihre Farben zu Gold und Bernstein und tauchen die Szenerie in ein Rembrandt’sches Licht. Von der Wärme angelockt versammeln sich die verblichenen Gestalten rings um den Tisch. Ihre schleppenden grauen Schatten und ihr kalter Atem absorbieren das herbstliche Leuchten und verdunkeln das Tageslicht.
    Worüber ich mit den Geistern rede? Natürlich über längst vergangene Zeiten. Die Vergangenheit ist ein Puzzle, in dem einige Teile verloren gegangen sind oder in die falschen Lücken gezwungen wurden. Ich habe mir vorgenommen, die Teile an die richtigen Stellen zu legen, um das Bild zu vervollständigen. Mein erklärtes Ziel ist es, etwas richtigzustellen. Andere Menschen arbeiten, um Geld zu verdienen, Macht zu erringen oder Liebe und Zuneigung zu gewinnen. Was ich jedoch will und brauche, ist die Möglichkeit zu entscheiden, was richtig ist, und danach handele ich. Und so kehren die Bewohner der Vergangenheit in diesen Raum zurück und erzählen mir immer und immer wieder ihre Version unserer Geschichten. Ich höre zu, äußere mich und versuche, den Sinn zu ergründen. Irgendwo liegt allem ein Muster zugrunde, das ich eines Tages erkennen werde.
    Weil heute Samstag ist, gestatte ich mir eine zweite Tasse Tee. Es ist ein bescheidener Luxus und nicht schlimmer, als dem Ruf verflossener Tage nachzugeben.
    Draußen scheint die Sonne. Die Luft ist so erfrischend und kühl wie ein Zitronensorbet. Natürlich ist es kalt, aber so ist es nun einmal im Oktober. Der Tag ist ganz anders als jener damals, als sich die früh hereingebrochene Dunkelheit vor den Vorhängen ballte, Nebel an Fenster und Türen leckte, an den Rahmen rüttelte, in das düstere Haus eindrang und unser Leben für immer veränderte.
    Ich erinnere mich, dass jemand schrie. Aber das war später.

2
    »Das hält bestimmt nicht lange.«
    Die Stimme klang alt und etwas herrisch. Ein vorwitziger Windstoß trug sie zu Kate Ivory hinüber, als sie eben den Kirchhof betrat.
    »So etwas sollte man bei einer Trauung lieber nicht sagen«, meinte sie zu Jon gewandt.
    »Was denn?«
    »Ach nichts.«
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja. Wieso?«
    »Ich dachte, dass dir vielleicht die Füße wehtun.«
    »Kein bisschen.«
    Bei den nächsten Schritten konzentrierte sich Kate darauf, sorglos und heiter dreinzublicken, doch die Kirche stammte aus der Zeit der Normannen, und der Weg über den Hof war möglicherweise schon im 12. Jahrhundert angelegt und seither vermutlich mit jedem Jahr unebener geworden. Damals trug man Holzschuhe, dachte sie, oder vielleicht derbe Lederstiefel – jedenfalls sicher nicht einen Hauch aus grünen Federn mit Zwölf-Zentimeter-Absätzen.
    »Mir brauchst du doch nichts vorzumachen«, sagte Jon und reichte ihr den Arm, damit sie sich unterhaken konnte. »Aber davon mal abgesehen: Deine Füße sehen fantastisch aus. Du trägst die erotischsten Schuhe des ganzen Friedhofs.«
    Kate lächelte ihm zu und legte ihre Hand leicht auf seinen Arm. Zwar half das auch nicht gegen ihre schmerzenden Füße, aber sie fühlte sich gleich um Längen besser. Mit einer Kopfbewegung brachte sie die Federn ihres Hutes zur Freude der hinter ihr gehenden Hochzeitsgäste provokativ zum Wiegen, ehe sie wieder dem Gespräch in ihrer Nähe lauschte.
    »Man kann im Oktober keinen Dauersonnenschein erwarten. Sicher regnet es bald wieder«, erklärte die vornehme
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