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Endlich geborgen

Endlich geborgen

Titel: Endlich geborgen
Autoren: Barbara McCauley
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sein und war deutlich kleiner als Gabriel. Ein Halbwüchsiger? überlegte er und verlagerte sein Gewicht, um den Jugendlichen nicht zu verletzen.
    „Lassen Sie mich los!”
    Gabriel erstarrte, als er eine wütende, aber unverkennbar weibliche Stimme hörte.
    Eine Frau?
    Sie bewegte sich unter ihm, und er fühlte ihren Körper.
    Ja, es war zweifellos eine Frau.
    Und sie duftete wie ein Strauß Frühlingsblumen. Es war derselbe Geruch, den er oben wahrgenommen hatte.
    „Ich sagte, Sie sollen mich loslassen!” Sie stieß jedes Wort mit einer solchen Heftigkeit hervor, dass Gabriel beinahe erwartete, dabei Funken fliegen zu sehen.
    Wieder versuchte sie, sich zu befreien, doch er hielt ihre Arme fest, um sich vor ihrem Ellbogen zu schützen und ihnen beiden eine kleine Kampfpause zu gewähren.
    „Sobald Sie sich beruhigt haben”, erwiderte er. Sie reagierte mit einer raschen Drehung des Körpers, mit der sie ihn beinahe beiseite gestoßen hätte. Als er ihre Handgelenke fester packte
    - es waren schmale, zarte Gelenke, wie er bemerkte -, holte sie tief Luft und hielt dann still.
    „Braves Mädchen”, sagte er und lockerte den Griff ein wenig. „Ich werde Sie jetzt langsam aufstehen lassen. Wehtun will ich Ihnen bestimmt nicht, aber …”
    „Bitte tun Sie meiner Mama nichts.”
    Gabriel erstarrte beim Klang der leisen, verängstigten Stimme, die aus einer dunklen Ecke des Esszimmers kam. Er fühlte, wie die Frau unter ihm ausatmete, hörte ihr unterdrücktes Schluchzen.
    Eine Frau und ein Kind? Versteckt in einem dunklen, leeren Haus? Was, zur Hölle, war hier los?
    „Ich werde deiner Mama nichts tun”, sagte Gabriel leise zu dem Kind und ließ die Frau los.
    „Sie hat mich nur überrascht, das ist alles.”
    Er stand auf und reichte ihr den Arm, um ihr hochzuhelfen, aber sie schüttelte ihn ab und ging rasch in die Ecke zu der kleinen Gestalt, die sich dort verbarg.
    „Alles in Ordnung, Kleines”, hörte Gabriel sie sagen. „Es geht mir gut. Keine Angst.”
    Sie standen alle drei in der Dunkelheit und warteten, bis die Spannung nachließ. Gabriel holte tief Luft. „Ich werde jetzt das Licht anschalten. Wollen Sie wieder weglaufen?”
    „Nein.”
    Er glaubte ihr kein Wort. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, tastete er nach dem Lichtschalter und knipste das Licht an.
    Ein kristallener Kronleuchter strahlte von der Decke, sorgte jedoch nur für gedämpfte Beleuchtung. Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt, die Vorhänge aus dunkelgrünem Stoff, Esstisch und Büfett aus Kirschholz. Im Zimmer herrschte eine Atmosphäre wie in einer Gruft.
    Die Fremde hätte in ihrem langärmligen schwarzen Rollkragenpullover, den schwarzen Jeans und dem langen braunen Haar mit der Dunkelheit verschmelzen können, wären da nicht ihr bleiches Gesicht und die großen Augen mit den langen Wimpern gewesen. Einen Moment lang ließ er den Blick auf ihren Lippen ruhen - üppige, schimmernde Lippen.
    Sie stand in der Ecke, kerzengerade, das Kind hinter sich. Er schätzte ihr Alter auf Mitte bis Ende zwanzig. Als er ihr in die Augen sah, erkannte er, dass sie nur auf eine Gelegenheit zur Flucht wartete.
    Er trat zwischen die beiden Türen, die aus dem Raum führten, um ihr den Weg zu versperren, achtete aber darauf, ihr nicht zu nahe zu kommen.
    „Wer sind Sie?” erkundigte sie sich unvermittelt. „Was tun Sie hier?”
    Gabriel zog die Brauen hoch. „Komisch, das wollte ich gerade Sie fragen.”
    „Ich bin eine Freundin von Miss Witherspoon.” Sie reckte das Kinn. „Sie hat mich und meinen Sohn erwartet.”
    Gabriel blickte nach unten und erspähte einen blonden Schopf neben der Frau. Ein Kind von vier oder fünf Jahren.
    „Vor der Tür habe ich keinen Wagen gesehen.”
    „Ich habe hinten in der Garage geparkt”, sagte sie und legte eine Hand auf den Kopf ihres Sohnes. „Ich brauchte das Licht zum Ausladen.”
    Möglich, dachte Gabriel. Vielleicht auch nicht. „Wann?”
    „Wann was?”
    „Wann hat Miss Witherspoon Sie erwartet?”
    „Oh.” Die Fremde blinzelte. „Nun, eigentlich sollten wir Freitag kommen, aber ich glaube nicht, dass es ihr etwas ausmacht, wenn wir einige Tage früher erschienen sind. Im Augenblick scheint sie ohnehin nicht da zu sein.”
    Das ist noch untertrieben, dachte Gabriel.
    „Ich denke nicht, dass es sie stören würde, wenn wir auf sie warten”, fügte sie nachdrücklich hinzu. „Als wir das letzte Mal miteinander sprachen, freute sie sich auf unser Kommen.”
    Die Stimme der Frau
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