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Ende (German Edition)

Ende (German Edition)

Titel: Ende (German Edition)
Autoren: David Monteagudo
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Jugendlichen in die Kamera schaut.
    «Jetzt ist der Kerl dran, den du mir bisher unterschlagen hast.»
    «Von dem erzähle ich dir ganz am Schluss.»
    «Wieso?», will María wissen. «Was ist mit ihm?»
    «Na gut», gibt Ginés nach und seufzt resigniert. «Wie ich sehe, lässt du mir keine andere Wahl. Das ist eine traurige Geschichte.»
    Er verstummt. Etwas hat seine Aufmerksamkeit erregt. María bemerkt, dass er in den Rückspiegel starrt, und sieht nach hinten, erkennt in der Ferne zwei Lichter: die Schweinwerfer eines Autos, die je nach Terrain mal heller, mal dunkler leuchten.
    «Das muss einer von uns sein», sagt Ginés. «Wer sollte sich sonst hier rumtreiben?»
    «So einfach kommst du mir nicht davon.»
    «Will ich auch gar nicht. Früher oder später käme es ja sowieso zur Sprache, also erzähle ich es dir lieber gleich.»
    Ginés schaltet einen Gang zurück und drückt aufs Gas. Der Weg ist jetzt flach und gerade, weist kaum noch Schlaglöcher auf, sodass sie schneller fahren können.
    «Je mehr Geheimnis du darum machst, desto schlimmer.»
    «Wenn man etwas bereut, zutiefst bereut, eine Dummheit, etwas, wofür man sich schämt, dann fällt es einem nicht leicht, davon zu erzählen. Und wenn ich es trotzdem tue und zu diesem absurden Treffen fahre, dann ist das wohl so eine Art Buße.»
    Ginés macht eine Pause, die sich in die Länge zieht, aber María traut sich nicht, etwas zu sagen, oder sie ist zu sehr in ihre eigenen Gedanken versunken, grübelt nach über die unerwartete Wendung, die das Gespräch genommen hat.
    «Wir haben ihm einen Streich gespielt», beginnt Ginés zu erzählen, «einen grausamen Streich. Solche Sachen macht man nur, wenn man jung ist. Heute wäre ich nicht mehr so dreist, mich aus der Verantwortung zu stehlen, alles auf die Gruppe zu schieben, aber damals …»
    Ginés verstummt wieder, reckt den Kopf nach vorne, konzentriert sich auf den Weg. María sieht ebenfalls nach vorne und versucht herauszufinden, was Ginés’ Aufmerksamkeit erregt hat. Tatsächlich erkennt sie am Rand des Lichtkegels einen grauen Schatten, etwas Rundes, das auf sie zufliegt wie ein vom Wind verwehter Brombeerstrauch. Alles geht blitzschnell. Es ist kein Brombeerstrauch, es ist etwas Größeres, ein Tier, das kurz stehen bleibt und dann schräg über die Straße rennt, in Richtung Graben. Ginés bremst nicht, nimmt auch nicht den Fuß vom Gaspedal, blickt nur nach vorne, sprachlos, starr vor Überraschung, vor Neugier. Das Tier, diese graue Masse, scheint dem Zusammenstoß ausweichen zu können, denn plötzlich ist es weg, nicht mehr zu sehen. Doch dann macht es einen dumpfen Knall, der Wagen wird durchgerüttelt, gebremst, gerät aus der Spur. Erst in diesem Moment reagiert Ginés, versucht das Auto unter Kontrolle zu bringen, das sich gefährlich zu Marías Seite neigt, fast in den Graben rutscht. Schließlich kann er es auf den Weg zurücksteuern. Er bremst, lässt sich, die Hände noch am Lenkrad, in den Sitz sinken und seufzt erleichtert.
    «Was war das?»
    «Ein Wildschwein.»
    «Es hätte fast den Wagen umgerannt!»
    «In dieser Gegend wimmelt es von Wildschweinen, und es wird immer schlimmer. Wenn das so weitergeht …»
    «Das Auto hinter uns», unterbricht ihn María und sieht nach hinten, «hat auch angehalten.»
    «Gut so», sagt Ginés, der immer noch heftig atmet. «Dann wird sich ja gleich rausstellen, wer das ist. Bei der Gelegenheit können wir den Schaden begutachten. Womöglich hat dieses Vieh was kaputt gemacht.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Nieves – Amparo – Ibáñez
    A mparo ist eine kleine, quirlige Person mit breiten Hüften. Sie trägt ihre Haare kurz, färbt ihre grauen Strähnen nicht, was ihrem gebräunten, von markanten Falten durchzogenen Gesicht etwas Entschlossenes gibt. Nieves hingegen ist groß und kräftig, ihre Gesichtszüge sind sanft, ihr glattes, volles Haar hat sie mit auffälligen Kämmen hochgesteckt. Ein dünner Schal und etwas Modeschmuck verleihen ihrem ansonsten schlichten Outfit etwas dem Anlass unangemessen Künstliches. Ibáñez trägt eine Brille und zeichnet sich aus durch ein breites, mürrisches, eher grobschlächtiges Gesicht und einen nichtssagenden Blick. Umso überraschender ist seine Stimme, die leicht gekünstelt klingt, wenig Intonation aufweist. Er ist von mittlerer Statur, stämmig, weder dick noch muskulös.
    Ibáñez, Nieves und Amparo stehen um einen großen, mit Papierdecken belegten Tisch in dem schlichten Aufenthaltsraum der
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