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Emma traut sich was

Emma traut sich was

Titel: Emma traut sich was
Autoren: Maja von Vogel
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dir verträgt. Er wollte es wenigstens versuchen!«
    Mama seufzte und legte den Kugelschreiber zur Seite. »Dein Vater fehlt dir ganz schön, was?«
    Ich starrte auf meine Füße und nickte. »Ich dachte, wenn ihr euch vertragt, zieht er vielleicht wieder bei uns ein. Und dann wird alles wie früher.«
    Mama sah mich nachdenklich an. »Wie früher? Willst du das denn wirklich? Schließlich war früher auch nicht alles nur toll ...«
    »Doch«, sagte ich entschieden. »Früher waren wir eine richtige Familie. Eine ganz normale Familie mit einem Vater, einer Mutter und drei Kindern. Keine blöde WG. Und Papa war immer zu Hause und hatte ganz viel Zeit. Und wir haben im Garten Federball gespielt und sind zur Kirmes gegangen und alle zusammen Riesenrad gefahren ...«
    Ich konnte nicht mehr weiterreden, weil mir plötzlich lauter Tränen die Kehle hochstiegen. Sie kitzelten mich im Hals und in der Nase. Ich versuchte sie wegzudrücken, aber das klappte nicht. Die erste Träne lief schon über meine Wange. Dann noch eine und noch eine und noch eine. Ich stand mitten in der Küche und heulte wie ein Schlosshund.
    Mama stand auf und nahm mich in den Arm. Sie drückte mich ganz fest und fuhr mir mit der Hand über die Haare. Dabei murmelte sie mit leiser Stimme irgendetwas, was ich nicht richtig verstand. Aber es klang trotzdem sehr tröstlich. Das hat sie früher auch immer gemacht, wenn ich geweint habe. Als ich noch klein war. Jetzt war ich ja eigentlich schon groß, aber ich fand es trotzdem schön, von Mama getröstet zu werden. Komisch, oder? Dass Weinen manchmal auch schön sein kann, meine ich.
    Nach einer Weile beruhigte ich mich wieder und hörte auf zu weinen. Mama gab mir einen Kuss auf den Scheitel und zerzauste meine Haare. Dabei waren sie sowieso schon ganz zerzaust.
    »Weißt du, Emma«, sagte sie, »manchmal sehen wir die Dinge in der Erinnerung ganz anders, als sie in Wirklichkeit waren. Weil wir uns nach einer Weile nämlich nur noch an die schönen Sachen erinnern. Die blöden vergessen wir einfach.«
    »Ehrlich?«, fragte ich. »Aber warum denn?«
    Mama zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder an den Küchentisch. »Das weiß ich leider auch nicht so genau. Vielleicht will sich unser Gedächtnis nicht mit all den schlechten Erinnerungen belasten. Es wirft einfach alle Erinnerungen in ein großes Sieb und nur die guten bleiben drin. Die schlechten fallen einfach durch.«
    »Eigentlich ganz praktisch«, sagte ich und setzte mich neben Mama.
    »Stimmt«, sagte Mama. »Weißt du eigentlich, dass wir nur ein einziges Mal alle zusammen auf der Kirmes waren? Und auf dem Rückweg hat Tim das ganze Auto voll gekotzt, weil er zu viel Zuckerwatte gegessen hatte.«
    Ich musste grinsen. »Richtig, das hatte ich vergessen. Es hat noch monatelang furchtbar gestunken.«
    Mama lachte. Danach schwiegen wir eine Weile. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie es wirklich gewesen ist, als wir noch eine richtige Familie waren. Eigentlich war es ja noch gar nicht so lange her, dass Papa ausgezogen war. Trotzdem waren die Erinnerungen an die Zeit davor ziemlich unscharf und verschwommen.
    Als wenn jemand mit einem feuchten Schwamm darüber gewischt hätte.
    Ich erinnerte mich an den Kirmesbesuch und ans Federballspielen mit Papa im Garten. Und daran, wie Papa im Atelier an der Staffelei gestanden und gemalt hatte. Ich hatte ihm manchmal stundenlang zugesehen. Da musste ich allerdings noch ziemlich klein gewesen sein, das war nämlich schon ganz schön lange her. Richtige Bilder an der Staffelei hatte Papa schon ewig nicht mehr gemalt. Dafür hatte er immer öfter auf dem Hof in der Sonne gesessen. Oder an seinem Motorrad herumgebastelt.
    Mir fiel wieder ein, dass Papa manchmal ziemlich schlecht gelaunt gewesen war. Vor allem, wenn er wieder mal Streit mit Mama gehabt hatte. Manchmal hatten sie sich stundenlang gestritten. Meistens in der Küche, dann waren früher oder später ein paar Tassen zu Bruch gegangen. Meine Mutter ist nämlich ziemlich temperamentvoll. Wenn sie richtig wütend wird, kann man ihr Geschrei bis auf den Dachboden hören. Ich hatte mir dann immer meinen Walkman aufgesetzt und ganz laut Die drei ??? gehört. Von Mamas Geschrei bekam ich nämlich Bauchschmerzen. Manchmal waren sie zum Streiten auch ins Atelier gegangen. Dann wussten wir, dass es ein richtig ernster Streit war, weil sie nicht wollten, dass wir mitbekamen, worum es ging.
    Mir fiel auch wieder ein, dass Mama einmal nach so einem Streit
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