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Emil

Emil

Titel: Emil
Autoren: Dror Burstein
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zwei Stunden, hier haben Sie eine einmalige Gelegenheit, die Führung dauert zwanzig Minuten, unten bekommen Sie natürlich Kaffee! Ich werde es Ihnen erklären, es ist ein Platz, der noch nicht für das Publikum freigegeben ist, sagte Frederic, Die Vorbereitungen für die Eröffnung sind noch im Gange, die Eröffnung findet in einem halben Jahr statt und dann, mein Herr, gibt es eine Warteschlange wie im Vatikan, unendlich lang, und teuren Eintritt, fünfzig Euro, fotografieren natürlich verboten, und hier haben Sie eine einmalige Gelegenheit, ein unknown Fresco von Piero de la Francesca zu sehen, sagte der Guide aufgeregt, Und römische Gräber, an die zweitausend Jahre kein Tageslicht gedrungen ist, die noch niemand zu Gesicht bekommen hat … und natürlich dürfe er fotografieren, er, Frederic, sei doch sozusagen der für den Ort Verantwortliche … er passe nachmittags auf, nachdem die Restauratoren gegangen seien … und heißen Kaffee gebe es unten … ganz frisch …
    Wie im Traum fand sich Joel quer über die weite Piazza schwebend. Frederic hielt ihn am Arm, und seine Hand fühlte sich angenehm an. Plötzlich merkte Joel, dass die Zeichnung mit Leas Gesicht weg war. Sicher hatte er sie mit dem Buch auf der Treppe vergessen, dachte er mit Bedauern, doch jetzt zurückzukehren schien sinnlos, sicher war das Blatt schon vom Wind davongetragen oder von den Straßenfegern entfernt worden. Er sah vor sich, wie es schmutzig und zerknittert unter den von den Touristen hinterlassenen Müllbergen vergraben lag und ebenso das Buch. Er wird mir eine andere Zeichnung machen, murmelte Joel vor sich hin, obgleich Emil schon siebenunddreißig Jahre alt war und nicht mehr so zeichnen konnte.
    Am prächtigen Eingang des Duomo wandte sich der Guide nach links und ging an der Mauer entlang, noch immer Joels Hand haltend. Mit den Fingern seiner freien Hand berührte Joel die Steine. Es schien, als nähme die Mauer kein Ende. Joel schloss die Augen und ließ sich vom Guide leiten. Plötzlich empfand er Freude an diesem Wort und sagte halblaut: Guide, Guide. Bis zum Abendflug hatte er genügend Zeit und konnte doch hier verweilen, solange er Lust hatte. Fröhlichkeit ergriff ihn. Statt dass du die letzten Stunden totschlagen musst, fällt dir eine solche Gelegenheit in den Schoß. Kein Grund, misstrauisch zu werden. Einfach vertrauen, vertrauen. Endlich etwas, das sich nicht im Reiseführer findet. Endlich ein Winkel in dieser Stadt, der nicht ausgelotet und bewertet ist. Ein unbekanntes Fresko von Piero de la Francesca, dachte er, von dem habe ich schon gehört, ein ganz berühmter Maler. Ausgesprochen fantastisch. Er stellte sich bereits vor, wie einige kunstbeflissene Freunde über seine Fotos staunen würden. Der Akku der Kamera war geladen. Und Kaffee – landestypischer, frischer Kaffee. Und natürlich die neuen Katakomben.
    Nach einigen Sekunden blieb der Guide stehen. Die Rückseite des Mailänder Doms war völlig anders als die Vorderfront. Als gehörte die riesige Kathedrale zu zwei verschiedenen Städten. Vorne lag die reiche, saubere Stadt der Touristen. Hinten grenzte der Dom an ein Armutsviertel, in dem von den Balkonen die Wäsche zum Trocknen hing, der Müll sich auf der Straße häufte und vor Touristenkarossen im Stil des 19. Jahrhunderts gespannte Pferde ihre Äpfel ließen. Steinmetze bearbeiteten einen großen Steinbrocken. Kutscher in verblichenen, geflickten Livrees hielten Siesta. Raben pickten an zerbrochenen Granatäpfeln.
    Der Führer sagte etwas von einem Streik der Müllabfuhr, von Pensionisten, die sich etwas dazuverdienten, indem sie Touristen in Pferdekutschen durch die Gegend fuhren. Dezent bemühte er sich, Joels Blick von dem weiter hinten gelegenen Viertel weg und auf die Rückwand des Domes zu lenken. Zog ihn mit sanftem Griff in diese Richtung. Nach einigen Schritten bot sich Joels Augen der Anblick einer kleinen, sehr niedrigen Öffnung, einer Art Tür, die zur Hälfte unter dem Straßenniveau lag. Der Guide bedeutete Joel, auf allen vieren rückwärts hineinzukriechen.
    Als er, den Rücken voran, die Öffnung passierte, wurde ihm ein Schutzhelm aus Plastik, an der eine Leuchte befestigt war, über den Kopf gestülpt. Über eine Leiter, die die Bauarbeiter an die Wand gelehnt hatten, stieg er hinab. Das Licht der Lampe fiel auf die Sprossen der Leiter und die angrenzende feuchte Wand. Über seinem Kopf waren die nackten, hellen Fußsohlen des Reiseführers. Er fragte ihn, wie lange es noch
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