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Emil

Emil

Titel: Emil
Autoren: Dror Burstein
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hatte ihm quasi gesagt, dass er sich auf die Reise begeben müsse, dass es richtig sei, zu reisen. Er holte den Pass hervor und steckte die Zeichnung in die Reisetasche. Plötzlich durchfuhr ihn ein Zittern, wie es einen überkommt, wenn ein Fieberanfall mit einem Mal vorbei und der ganze Körper schweißgebadet ist, ein nasses Handtuch schwer auf der Stirn liegt, und er dachte, sie sieht mich an. Er erinnerte sich, wie er eines Tages nach Hause gekommen war und sich im Schlafzimmer hinlegte und der Engel, der zwölf Jahre dort gehangen hatte, weg war, statt der Zeichnung war da nur ein leeres Rechteck und ein durch und durch verrosteter, schiefer Nagel.

    Am nächsten Tag saß er bereits bequem in seinem Flugzeugsitz. Während des Flugs träumte er von jemandem, der nach Italien reist, nach der Landung an den Seen vorbei in den Norden fährt bis in die Schweiz zu den schneebedeckten Bergen, auf die höchsten Spitzen wird er erst morgen gelangen, die ganze Nacht ist er unterwegs, aus dem Autoradio ertönt Klaviermusik, und dort angekommen wird er aussteigen und in die leere, dunkle Alpennacht blicken und die Hände in den Taschen des dicken, groben Mantels vergraben, den er einmal von seinem Großvater geschenkt bekommen hat, als er ihm noch viel zu groß war, und als Kind hat er den Mantel und seinen rauen Geruch gehasst, warum hat ihm der Alte ausgerechnet einen Mantel zum Geburtstag geschenkt, auch seinen Eltern war es peinlich, und sie vergruben ›den Fetzen‹ irgendwo, doch nun vergeht kein Wintertag, an dem das Kind nicht diesen Mantel trägt, und im Sommer fährt er in kühle Regionen, um ihn noch ein wenig länger tragen zu können. Und wenn er ihn zur Reinigung bringt, steht er an der Tür und wartet.
    Joel öffnete die Augen. Seine Füße befanden sich über den Bergen Kretas. Die Mahlzeit auf dem Tablett vor ihm war kochend heiß. Und er hatte keine Ahnung, wer er war und wo er sich befand.

    Schon war der letzte Tag der Reise gekommen. Er setzte sich auf die Treppe des Duomo. Holte das Buch heraus, das er im Urlaub hatte lesen wollen, aber nicht gelesen hatte. Er wollte ungern in Italien mit einem hebräischen Buch in der Hand auf der Straße gesehen werden, das war ihm peinlich und er hatte Angst, man würde ihn ›erkennen‹. Nun, einige Stunden, bevor er das Taxi zum Flughafen nehmen würde, sagte er sich, dass er ein wenig lesen müsse. Damit er das Buch nicht ganz umsonst auf die Reise mitgenommen hätte. Weiß der Himmel, wozu man Bücher mitschleppt. Statt dass er las, fiel ihm, wie am Tag vor der Abreise, aus dem Buch wieder die Zeichnung mit dem Gesicht entgegen. Er legte das Buch auf der Treppe ab. Soll es doch lesen, wer immer will, dachte er. Ich habe die Nase voll von diesen Büchern. Eine richtige Strafe. Lasst mich in Frieden, dachte er.
    Jemand setzte sich neben ihn auf die Treppe. Warf einen Blick auf das Gesicht auf der Zeichnung. English? English? You want to see the cathedral? You want to see the secret fresco? Want to see the new catacombas?
    Joels Augen waren weiter auf die Zeichnung geheftet, und er tat zunächst, als merke er nicht, dass diese Worte ihm galten. Dann blickte er auf. Ein schwarzhäutiger Mann von etwa vierzig Jahren saß da und zeigte auf die Zeichnung, die neben Joel auf der Treppe lag. Sagte etwas in einer Sprache, die Joel nicht verstand. Suaheli?, riet Joel. Yes, yes, die Augen des Mannes leuchteten auf. You want to see the new catacombas? Alles legal. Er zog ein zerknittertes, in Nylon gehülltes und mit einem Stempel versehenes Dokument hervor.
    Joel reichte ihm eine Hunderternote. Sollte er das Geld doch nehmen und ihn in Ruhe lassen. In fremden Städten gab er immer Almosen, das war seinem Gefühl nach eine echte Verbindung mit der Stadt, und immer hatte er davon geträumt, einmal einen wirklich großen Geldschein zu geben, doch all die Jahre hatte Lea es ihm ›nicht erlaubt‹, und als sie tot war, war er bereits daran gewöhnt. Der Mann, der sich als Frederic vorstellte, sagte, er bedaure sehr, er habe kein Wechselgeld. Doch unten in den Katakomben, hinter dem Fresco, das noch nicht zur Besichtigung durch die Touristen freigegeben sei, befänden sich seine zwei Söhne, und sicher würde einer von ihnen Wechselgeld haben. Viele Münzen, viele neue Münzen, sagte er, und aus unerfindlichen Gründen zeigte er mit erhobener Hand auf den Mond.
    Joel lehnte höflich ab. In zwei Stunden müsse er sich auf den Weg zum Flughafen machen. Ich bitte Sie, mein Herr,
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