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Emil

Emil

Titel: Emil
Autoren: Dror Burstein
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aus. Ein bunter Umzug kreuzte den Rothschild-Boulevard von Ost nach West. Joel schloss das Fenster, um sich dem Getöse der Pfeifen und Trommeln zu entziehen. Machen Sie das Fenster zu, wollte er der Schwangeren sagen, damit Ihr Baby nicht vom Lärm erschrickt, genierte sich aber, das Wort an sie zu richten. Im Taxi gingen die Stimmen durcheinander. Joel zog seinen vom Meersand klebrigen MP3-Player hervor und steckte die Kopfhörer ein, nur einige Orgelstücke von Bach, Lieder von Schubert und Songs von Shlomo Artzi waren darauf, und die Bildershow, die den Großteil der Speicherkarte einnahm. Mit geschlossenen Augen lehnte er den Kopf an die Scheibe. Er hörte gerade noch den Fahrer sagen: Ich schalte den Motor ab, bis der Umzug vorbei ist. Was heißt Umzug – der Auszug der Juden aus Ägypten, und das an Purim! Noch war genug Zeit. Das Geräusch eines Autoalarms durchschnitt die Luft, doch die Hülle des Traums schirmte ihn ab. Das Geschrei draußen hörte er nicht. Er war müde, und das mitten am Tag. Extra, hörte er die Stimme sagen, extra, natürlich extra. Er wollte schlafen, obwohl es erst Mittag war. Träumte, dass er in einem Taxi fahre, dass er schlafen wolle, und wie sein alter Vater Amikam ihm als Kind immer gesagt hatte, sprach auch Joel zu sich im Schlaf: Wie gut es doch tut, zu schlafen, wenn man müde ist. Durch ein offenes Fenster flog ein kleiner Vogel ins Taxi hinein, durch ein anderes wieder hinaus. Weitere Traumbilder drängten sich ihm auf, aber wie gewöhnlich vergaß er fast alles. Hätte er sich an seinen Traum erinnert, wäre da eine durchsichtige Eisenbahn gewesen, die, mühsam von einer pfeifenden Lokomotive gezogen, einen Turm hinauffuhr, wenn man aber auf den Boden der Eisenbahn blickte, sah man, dass da nichts war, nicht durchsichtig war der Boden, sondern einfach nicht vorhanden. Als er aus seinem Schlummer erwachte, war das Taxi leer.
    Jemand hatte ein Handy auf einem der Sitze vergessen. Das Handy vibrierte blinkend in den Sitz hinein.
    Das Taxi war auf dem Parkplatz des Busbahnhofs abgestellt. Zunächst erblickte Joel den Fahrer nicht, doch dann sah er ihn durch halb geöffnete, vom plötzlichen Lichteinfall geblendete Augen mit mehreren andern Fahrern im Freien auf einer Bank sitzen und aus einem Plastikbecher Kaffee trinken. Joels Nacken schmerzte. Der aufsteigende Dampf umhüllte die Gesichter der Fahrer und ihre dickrandigen Brillen. Er war vom Schlaf wie zerschlagen, sein Nacken war steif, das Musikgerät verstummt, wie weiße Pfropfen ragten die Kopfhörer aus seinen Ohren hervor. Was hatte er überhaupt gehört? Traumfetzen schwirrten ihm einen Augenblick lang vor den Augen. Ein Fenster. Eine Wolke. Ein Pfeifen. Eine Uhr. Ohne noch seinen Kopf von der Rückenlehne zu lösen, sah er um sich herum das leere, stille Taxi, die Sitze, in denen Form und Ausdünstung tausender Fahrgäste ihre Spuren hinterlassen hatten. Zum ersten Mal merkte er, wie sehr diese Sitze eingesunken waren und das Gewicht sie zusammengequetscht hatte. Zusammen- und in die Tiefe gequetscht. Die Bespannung abgenutzt. Wie eine Herde von Eseln, deren Rücken unter der Last eingesunken ist, dachte er. Und wie ein Lastesel fuhr das Taxi, ohne zu klagen, immerfort von Norden nach Süden. Du bist wieder eingeschlafen, du bist wieder im Busbahnhof, du musst dich wieder auf den Rückweg machen.
    Joel erhob sich mühsam, stieg aus. Plötzlich hörte er den Fahrer von fern rufen: Gut geschlafen? Ich wollte Sie nicht aufwecken. Wie ein Baby haben Sie geschlafen. An seine Kollegen gewandt, erklärte er mit gedämpfter Stimme: Eingeschlafen ist er … Und sobald Joel sich aus seiner Hörweite entfernt hatte, fügte er hinzu: Der Typ schläft gerne in Taxis, und einige Augenblicke später heiser zu seinen Schuhspitzen hin: Keine Woche vergeht, ohne dass dieser Typ bei mir einschläft. Die Fahrer schauten Joel an, der sich gegenüber dem Busbahnhof dehnte und streckte, als wäre er eine Fata Morgana.
    Sich wieder auf den Rückweg machen. Nein, er hatte nicht den Mut, hinaufzugehen.
    Aber morgen würde er wieder hinfahren.

    Aber morgen wird er wieder mit dem Taxi fahren, den ganzen Weg allein, und dabei denken, warum steigt denn heute niemand ein. Für fünf Schekel hab ich ein Privattaxi bekommen. Mitten auf der Levinsky-Straße wird er zum Fahrer sagen: Ich steig hier aus, eine angenehme Woche wünsche ich Ihnen, und der Fahrer, vielleicht derselbe wie gestern, vielleicht auch nicht, wird ihm antworten: Was soll’s,
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