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Emil

Emil

Titel: Emil
Autoren: Dror Burstein
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eine sehr bequeme Fahrt. Man merkt, dass Sie Berufsfahrer sind. Der Fahrer blickte ihn einen Moment lang an, versuchte festzustellen, welche Falle dieser weißhaarige Passagier ihm da stellte, und seine rechte Hand fasste nach dem Griff der Nickelstange zum Betätigen der Tür. Seine kurzen, dicken Finger öffneten und schlossen sich um den abgenutzten Nickelgriff, und nach einigem Zögern und einem langen Blick hob er an: Wissen Sie, nicht wahr, und nach einer langen Pause, während er durch die Frontscheibe die Ampel fixierte, die auf Gelb und plötzlich auf Rot schaltete, fuhr er fort: Wissen Sie, ich mache diese Tour schon sieben Jahre,
sieben Jahre
, und noch nie hat mir jemand so was gesagt. Nie. Sein Blick ruhte noch einige Augenblicke auf der Jehuda-Halevi-Straße, und Joel hob verlegen die Hand. Da fuhr das Taxi sehr langsam, fast widerwillig, an, und Joel fühlte den Blick des Fahrers im Rücken. Er sagte sich, wenn ich die Hand senke, wird er stehenbleiben und im Rückwärtsgang zu mir zurückfahren. Ganz sicher. Dann senkte er die Hand.

[ ]
    Zehn Jahre, nachdem sie ihn weggegeben hatte, entstand irgendwie der Gedanke, noch ein Kind zu machen. Sechsundzwanzig waren sie beide. Die ›schwere Zeit‹ lag sozusagen schon hinter ihnen. Einen Neuanfang wollten sie machen. In der Wohnung roch es nach Zigaretten, Tag und Nacht atmeten die Wände den Rauch ein. Und aus. Sie beschlossen, mit dem Rauchen aufzuhören. Hörten tatsächlich auf. Ein oder zwei Monate lang. Strichen alles weiß. Sie versuchte, schwanger zu werden. Doch die Wände begannen zu husten. Die Wände waren auf Entzug. Schwarze Wände. Wände zum Ersticken. Schwarze Lungen-Wände. Kohle. Es gab da Kupferschüsseln. Aschenbecher, randvoll. Das Haus ließ es nicht zu.
    Jeden Tag ging sie hinunter, um die Zigarettenstummel in den Müll zu kippen. Klopfte die Kupferschüssel an der Mülltonne aus. Doch auf dem Weg hinauf schlug ihr im Treppenhaus erneut der Gestank ins Gesicht.

Joel
    Nein, er wolle weiterarbeiten, ohne Unterbrechung, sogar in den langen Nächten, hatte er dem Firmenleiter gesagt, wie war ihm nur das Wort
lang
herausgerutscht, so ein Quatsch … tief in seinem Innern jedoch versuchte er, sich über die Entlassung zu freuen, sah sich in der Welt umherfahren mit einer von ausländischen Geldscheinen überquellenden Brieftasche, in die er die Abfindungs- und Pensionszahlungen getan hatte, in der Hand eine leichte Reisetasche, einen leichten Mantel, eine Pocketkamera, sah sich gemächlich die Fahrpläne von Flug- und Bahnlinien studieren, in einer kühlen Nacht in einem Eisenbahnabteil in Budapest einschlafen und frühmorgens in Venedig aufwachen, die Gondeln und die breiten, hell erleuchteten Kanäle vor Augen, und das Wasser des Canal Grande würde vor seinen noch halb verschlafenen Augen dahinfließen. Zwei Monate nach seiner Pensionierung mühte Joel sich noch immer, diese Freiheit auszukosten, zum ersten Mal nach Dutzenden Arbeitsjahren unter den Autobahnbrücken, den gelben Schutzhelm auf dem Kopf, mit den Plänen in der Hand den Vorarbeitern etwas zurufend, und immer wieder, kaum dass er sich umgedreht hatte, traten Fehler auf. Im Traum fuhr er als Einziger über Autobahnkreuze, die er gebaut hatte, bei Netanja etwa, am helllichten Tag fährt er da ganz allein in seinem neuen Peugeot und weiß, gleich wird die Brücke zusammenbrechen, und streckt die Hand durch das Autodach, um sich im Fallen an irgendetwas festzuhalten, einem Baumzweig oder einer Wäscheleine, und er weiß, dass da nichts ist, streckt trotzdem die Hand durch das offene Dach und weiß auch im Traum, dass ein Peugeot kein Schiebedach hat, doch das Dach öffnet sich und mit der Hand spürt er den starken Fahrtwind, fährt noch ein Stück weiter, zählt, eins zwei drei, und immer weiter und weiter, bis er die Brücke unter den Autoreifen auseinanderbrechen hört und dabei sekundenlang den Bauplan vor Augen hat und sofort den Fehler erkennt, sein Fehler war es gewesen, und er weiß es. Es war mein Fehler. Und dann beginnt das Auto Höhe zu verlieren, nach vorne zu kippen, dem sicheren Aufprall entgegen, er hat zu zählen aufgehört, hört aber seine Stimme weiter wie von einem Tonband, und er streckt seine Hand noch weiter hinaus, ein langes Aaaaah kommt aus seinem Mund, bis jemand seine Hand ergreift und ihn aus dem Auto zieht. Auch jetzt, nach seiner Pensionierung, einige Tage vor seinem siebzigsten Geburtstag, im Frühling 2007, war der Traum mehrmals
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