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Emil

Emil

Titel: Emil
Autoren: Dror Burstein
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den ersten Tagen nach seiner Pensionierung saß er in seiner Wohnung über dem Boulevard und starrte die Baumkronen an. Im Laub zankten sich kreischend Vögel. Musik. Er konnte sich kaum konzentrieren. Bücher. Ein, zwei Seiten. Stand plötzlich auf. Dachte an die Stadt und ihre Zukunft. Dachte im Dezember mit Sorge an den Sommer. Einmal sagte der Taxichauffeur: Den Arabern muss man’s geben, nicht nur im Libanon, und Joel sprang zornig auf, stürzte zur Tür und wurde beim Aussteigen fast niedergefahren. Er wusste, dass er mit einer nicht eingestandenen Anspannung auf einen Anruf aus dem Büro wartete, und das nicht läutende Telefon läutete irgendwie doch, ein stummes Läuten lag über dem Haus. Er ließ vom Baum ab, blickte lange auf das alte, schwarze Telefon mit der Wählscheibe, das er, obwohl es schwer war und krachte, beharrlich weiterverwendete, ungeachtet aller neumodischen Telefone mit ihren Kurzwahltasten und der Handys mit den Memory-Funktionen und eingebauten Kameras. Das Telefon schwieg, Joel stand auf, prüfte, ob es richtig eingesteckt war, als wäre er nicht bei der Sache, nur um sich nicht einzugestehen, wie sehr es ihn beschäftigte. Er drückte den Stecker gegen die Wand, doch der Stecker saß fest an seinem Platz. In seinen letzten Arbeitswochen, als sein junger Nachfolger bereits mit zwei Handys und Notebook im Büro und auf den Baustellen herumlief, hatte sich Joel die Rente wie ein lange Kur vorgestellt, doch in den ersten Tagen fühlte er sich eher, als wäre er krank, nichts Schweres, eine leichte Grippe, Halskratzen, Kreuzschmerzen, keine Bettlägerigkeit, kein hohes Fieber, und doch irgendetwas nicht in Ordnung, etwas aus dem Geleis, ein gewisser Druck im Kopf. Als habe man das ganze Leben im Amazonas schwimmend verbracht und finde sich eines Morgens plötzlich im Jarkon-Fluss wieder. Jetzt bist du am Jarkon, dachte er und schrieb in sein Notizbuch: Bootfahren auf dem Jarkon, Emil vorschlagen!, allein würde er ja nicht mehr rudern können. Und er wusste, dass er es nicht vorschlagen würde, und dass Emil nicht zustimmen würde. Befühlte seine Arme und sagte laut: Was für dürre Arme. Erinnerte sich, wie sie in einem Holzboot auf dem Jarkon gerudert waren, er, Emil und Lea, wann war das bloß, vielleicht Anfang Januar 1974, nachdem sie von der dreimonatigen Reise zurückgekehrt waren, zu der sie am Ende des Versöhnungstages aufgebrochen waren. Joel ruderte, und als Emil im Bootsbauch eingeschlafen war, hielt Joel eine Weile inne, ließ das Boot treiben, und beide blickten ihn an, wie er da im Sonnenlicht lag und ein Lufthauch sein grünes T-Shirt aufbauschte. Er hörte Leas Stimme zum Wasser sagen: Was für ein Kind, und hob abrupt das Telefon ab.

Joel
    Er sah ihm nicht ähnlich, er war ein dunkles Baby. Ja, nehmen wir den, hatte Joel zu Lea gesagt. Schau dir seine Finger an. Und die Augen, schau, wie er dich prüfend anblickt. Sie entschieden sich für das Kind in weniger Zeit, als sie später brauchen würden, um sich für den Peugeot und die neue Wohnung im achten Stock zu entscheiden, die sie einige Jahre danach ›auf dem Papier‹ kaufen würden. Wir haben uns rasch entschieden, weil es klar war, wenn wir lang überlegten, würde nichts dabei rauskommen. Es hätte uns fertiggemacht, wir hätten uns nicht entscheiden können, weil uns in einem fort neue Gründe dafür oder dagegen in den Sinn gekommen wären. Und überhaupt, die Blicke der anderen Kinder, diese Augen, jedem hätte es zugestanden, genommen zu werden, alle waren brave Kinder, mehr als ein paar Minuten hätten wir nicht dastehen können, es war zum Verrücktwerden, wenn man sich auf alle hätte einlassen, an ihre Zukunft denken wollen. Zugleich hatte er gedacht: Wer weiß, welche Monster da auch heranwachsen. Wenn die Zeit vergeht und niemand sie nimmt. Nach einem Jahr. Nach fünf Jahren. Und manche wird man sicher ans Bett fesseln müssen. Und was willst du, hatte er stumm zum Krankenkassenlogo auf der Gardine gesagt, dass wir ein paar Dutzend Kinder adoptieren?
    Joel knöpfte sich das Hemd zu. Jenseits des Raumteilers, unter einem dreidimensionalen Schaubild eines riesigen Auges und einem kleineren des Verdauungstraktes, tippte der Arzt mit einem Finger auf der drahtlosen Tastatur, die Brille in die Stirn geschoben, die Augen vor Anstrengung zusammengekniffen, die Zungenspitze leicht aus dem Mund gestreckt. In Joel stieg das Bild eines sich rechts und links windenden, sich schließlich zu einem Knoten
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