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Emil

Emil

Titel: Emil
Autoren: Dror Burstein
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wiedergekehrt, und er wachte morgens auf, sah sich in der plötzlich leer erscheinenden Wohnung um, ging hinaus auf den Boulevard, um im Linientaxi Nummer 5 in den Süden der Stadt zu fahren, manchmal schon um fünf Uhr morgens, während Emil noch schlief, stieg meist zwischen der Balfour- und der Nachmani-Straße aus, wo er umherschlenderte. Vor einem unsichtbaren Publikum zog er seine Senioren-Nummer ab, flanierte den Boulevard oder die kleinen Straßen entlang, betrachtete die Bäume und die Schaufenster, dachte bei sich, es sei nicht so schlimm, denn aus diesem Müßiggang werde in ihm eine bedeutende Idee wachsen, eine Geschichte vielleicht, und die würde er in einem Zug niederschreiben in einem Café und dann veröffentlichen. Als Kind hatte Joel die Küstenlinie des Mittelmeers mit erstaunlicher Präzision zeichnen können. In einem Café versuchte er nun, die Skizze zu wiederholen. Aus der Bucht von Haifa gleitet der Stift nordwärts, schon ist er in Griechenland, ein kurzer Abstecher, um Zypern aus dem Meer zu heben, dann wieder nach oben gen Italien, jetzt kommen die Inseln dazu. Je deutlicher Meer und Hafenkais hervortreten, desto jünger wird er. Freudig hat er die Meerenge von Gibraltar erreicht, hüpft ein Stück hinunter, als Kind hatte er sich vorgestellt, er lege diese Strecke schwimmend zurück, während seine Eltern sich von beiden Seiten zu ihm herabbeugen, ihm applaudieren, über das Wasser etwas zurufen, wie sie es wirklich taten, wenn auch über den Schreibtisch. Auf der Rückreise macht er in Djerba, Tripoli, Alexandria Halt, Fischgeruch steigt auf und plötzlich große Lust, am Meer zu sitzen und Oliven und Honig zu essen.
    Er stand auf, setzte sich wieder. Ging an den Geldautomaten. Zog einen großen Betrag. Legte ihn in einen Umschlag. Zuhause würde er nachzählen. Es war der genaue Betrag.
    In einem Notizbuch schrieb er Dinge nieder, die ihm aufgefallen waren. Von den Mädchen zum Beispiel, die tief unten am Rücken eine Tätowierung in Dreiecksform trugen, was wiederum ein besonderes Outfit – tief geschnittene Hosen und kurze T-Shirts – erforderte, und natürlich extreme Schlankheitsdiäten und das Bräunen ansonsten verdeckter Körperteile, und vor allem, dachte Joel, eine uneingeschränkte Bereitschaft zu sexuellen Abenteuern. Und er machte sich Notizen über das Telefonieren mit dem Handy und erinnerte sich an einen Mann in seiner Kindheit, der auf der Straße laut zu sich sprach, bis eines Tages ein Rettungswagen neben ihm hielt und ihn mitnahm, während jetzt die Nicht-mit-sich-selbst-Sprechenden in der Minderzahl waren. Über den Boulevard strömten andauernd junge, vitale Männer und Frauen, plötzlich waren sie alle schlank, stellte Joel fest und notierte, hochgewachsen, muskulös und kahlgeschoren. Die Männer, stellte er fest, alle kahlgeschoren und in Siebenachtelhosen, die Frauen alle mit großem Busen, eine Tätowierung über dem Steißbein oder auf der Schulter. Plötzlich machten alle Geld, plötzlich waren alle jung und gesund, alle fuhren neue, spritzige Autos, alle saßen im Café. Mehr als alles andere erstaunte ihn die Zahl der Menschen, die mitten am Tag im Café saßen, junge Menschen, die früher ihre Zeit am Arbeitsplatz verbracht hätten, jetzt aber Kaffee tranken und mit dem Handy telefonierten und auch in der größten Augusthitze nicht schwitzten. Sich einfach nie von der Klimaanlage wegbewegten. Großer Busen und am Ohr, statt wie früher eine Blume, ein blaues Lämpchen. Was sie sagten, war ihm unverständlich. Als sprächen sie ein anderes Hebräisch. Er war sicher, dass es Hebräisch war, verstand aber fast nichts von dem, was die Jungen redeten, so schnell sprachen sie und mit einem fremd anmutenden Akzent. Am Ohr blinkte bläulich ein kleines Etwas, und sie sprachen laut, während sie mit großen, energischen Schritten einherschritten, mit einer Hand gestikulierend, und in Joels Augen war es ein Schauspiel völligen Irrsinns, schier apokalyptisch, obgleich er wohl wusste, dass nichts natürlicher war als das und dass er selbst einem Menschen des achtzehnten Jahrhunderts, wenn er unter einer Autobahnbrücke stand oder zu Hause telefonierte, nicht anders erschienen wäre. Der Wind trieb dürre Blätter über den Asphaltweg zwischen den Häusern. Er ging in ein Treppenhaus, setzte sich nieder. Öffnete das Heft, das für die Geschichte gedacht war, schrieb vorsichtig auf der ersten Seite das Datum nieder und steckte das Heft wieder in die Tasche.
    An
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