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Emil

Emil

Titel: Emil
Autoren: Dror Burstein
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Sich-in-die-Erinnerung-Fallenlassen hasste, das all seinen gleichaltrigen Freunden gemein war, immer mehr versanken sie in die Vergangenheit, zogen ihn im Gespräch unweigerlich prompt hinein in das, was einmal gewesen war, beim Anblick der Straßen beschworen sie frühere Bilder herauf aus jener Zeit, bevor es die Stadt gab, als noch alles offen war und ›unser‹, lebten soweit es nur irgendwie ging in der Erinnerung, dachte Joel, während er mit abwesendem Blick eine komische Anekdote nickend quittierte. Jedes Wort führte in vergangene Zeiten, zumeist zu diesem oder jenem Krieg, zur Staatsgründung, elf war er damals, Kinder waren wir noch, als Ben-Gurion seine Rede hielt, du erinnerst dich doch an die Ausrufung des Staates Israel, und wie ich mich erinnere, ich war doch dort, auf einer Orangenkiste habe ich gestanden. So versanken sie in der Erinnerung, und zur Erinnerung gesellte sich die Einbildung, und Joel verharrte in Schweigen und wartete schon darauf, dass das Treffen der ›Kameraden‹ sich endlich auflöse, bis er schließlich ganz aufhörte hinzugehen. Er konnte es nicht mehr ertragen, wie nach den ersten Begrüßungsworten und einigen beliebigen Fragen irgendjemand ein Stichwort auf den Tisch warf gleich neben das Knabberzeug, etwa den Namen eines Kommandanten aus dem Sechstagekrieg (wo Joel sich doch gedrückt, sich vor dem Reservedienst in die Niederlande abgesetzt hatte, was sie sehr wohl wussten, und gerade deswegen sprachen sie vom Sechstagekrieg, dachte er, und dabei fragten sie ihn immer wieder ganz unschuldig: Wie war das also, mit dem Fallschirm bist du über der Klagemauer abgesprungen?, und lachten sich dabei innerlich kaputt), und dann tauchten sie unweigerlich in die ›gute alte Zeit‹ ein, Erinnerst du dich an die Kellnerin aus den ›Ungarischen Blintzen‹, und wie ich mich erinnere, wie hieß sie doch? Paula? Polina? Was? Haben wir nicht nach der Hochzeit von Joschua und Zippa dort gegessen? Welcher Joschua? Joschua aus der Jugendbewegung, was quatschst du da, Joschua hat gleich nach dem Jom-Kippur-Krieg das Land verlassen, ist ausgewandert, nachdem er in der Sinaiwüste eine Hand verloren hatte, nein, ich meine Joschua aus Kfar Joschua, ok, und was ist mit ihm, er hat Zippa Vilensky im Blintzenlokal geheiratet, was soll das heißen ›was ist mit ihm‹, ok, also wie kommst du jetzt auf ihn? Wegen dem Blintzenlokal komme ich auf ihn, aber ich meine Joschua Ben-Meir, Chajkes Zugführer aus dem Ausländerkorps, ach so, das ist überhaupt eine andere Zippa, du bringst da was durcheinander, ich meine ›Zippa mit der Mundharmonika‹, was redest du da, die hat doch diesen Millionär geheiratet, den Perser, wie hieß er doch, den Waffenhändler … Joel, warst du nicht mit der Zippa, die Joschuas Frau war, in Kontakt? Nachdem er ausgewandert war? Nachdem er die Kohlenladung gekauft hatte,
    Und Joel sagte: Nein, nein. Ich erinnere mich an nichts.
    Das Taxi kroch die Dizengoff-Straße entlang. Vielleicht stand aber auch das Taxi still und die Straße kroch rückwärts.
    Plötzlich der Gedanke an dichten Schneefall. Dichten, ganz dichten Schnee. Er schloss das Fenster.
    Vor den großen Spiegeln standen zukünftige Bräute, betrachteten prüfend ihren Busen, der exakt in die Form des Kleides gegossen war. Seitwärts die Bräutigame, die sie mit den Augen maßen, und ein Anflug von Enttäuschung war bereits in ihnen abzulesen. Diese Mädchen sehen sich schon durch die Augen ihres Mannes, dachte er, und blickte auf die riesigen Brüste einer Braut, die sich im Spiegel wie ein ledergepolstertes Sofa verdoppelten, bis das Taxi schließlich von der Stelle kam und weiterfuhr. Die Braut blickte suchend auf die Straße und traf anstelle Joels Blick den eines anderen Mannes, der sich die Unterlippe leckte, worauf sie ihm die Zunge herausstreckte. Im Obergeschoss eines der Brautsalons erblickte er ein Schild
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, und aus dem Haustor traten, einander stützend, Mutter und Tochter, beide mit einem Verband im Gesicht, ganz offensichtlich verängstigt. Er versuchte, sich an Leas Brautkleid zu erinnern, wusste aber nur noch, dass es weiß gewesen war. Und nicht einmal das mit Sicherheit. Und dass der Rabbiner ein Glas Wein an seine Lippen geführt hatte. Das Taxi fuhr nun an jener Klinik vorbei, in die Lea zur Untersuchung gegangen war. Jetzt war da ein Blumenladen. Als sie aus der Klinik herausgekommen war, mit
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