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Elli gibt den Loeffel ab

Elli gibt den Loeffel ab

Titel: Elli gibt den Loeffel ab
Autoren: Tessa Hennig
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Friedhofsgärtner loben oder gemeinsam darüber nachdenken, welche Bepflanzung sich am besten für ein Grab mit Wetterseite eignet. Ich kenne sogar eine Frau, die sich nach der Scheidung von ihrem Mann einen Hunderterpack Grablichter gekauft und sich hier förmlich eingenistet hat«, trug Frieda auf dem Weg zu Remys Beisetzung vor, die am anderen Ende der begrünten Anlage stattfand.
    »Also ich wollte damals auf dem Friedhof immer allein sein«, sagte Elli darauf nur.
    »Du bist ja auch ein Sonderfall.«
    »Warum das denn?«
    »Ich kenne niemanden, der so vielen interessanten Männern eine Abfuhr erteilt hat wie du.« Frieda klang bestimmt.
    »Ich brauche keinen Mann. Ab einem gewissen Alter kann man sich einfach nicht mehr anpassen. Der Zug ist abgefahren.«
    »Das redest du dir nur ein. Die Wahrheit ist doch, dass dir nach Josef keiner mehr gut genug war.«
    »Blödsinn!«, protestierte Elli vehement.
    »Du wartest auf den großen Moment, so wie damals in Nizza, als Josef seinen kinoreifen Auftritt hingelegt hat. Gut, ein Heiratsantrag auf Knien mitten auf einem Filmempfang in einer von Pinien gesäumten Villa und dabei auch noch Beifall und Glückwünsche von der Loren persönlich zu ernten — davon würde ich wohl auch zeit meines Lebens zehren«, seufzte Frieda, die natürlich nur Ellis leicht übertriebene offizielle Version von Josefs Heiratsantrag kannte.
    »Was ist so verkehrt daran, auf den Richtigen zu warten?«
    »Man bleibt allein!«, schoss es aus Frieda heraus.
    Elli schluckte, und zugleich fragte sie sich, ob sie in den letzten Jahren einen Mann an ihrer Seite vermisst hatte. Die Antwort lautete Nein. Nur komischerweise fühlte sich dieses Nein erstaunlich wenig resolut an. Schnell diesen Gedanken beiseiteschieben. Immerhin waren sie hier, um Remys Beisetzung beizuwohnen.

    »So, Ihr Bienenstich. Der ist heute besonders lecker«, pries die Bedienung die Kalorienbombe, die sie Elli auf einem biederen Teller mit Blümchenmuster vor die Nase setzte, an.
    Blümchen überall. Auch auf der Tischdecke, in den Porzellanvasen, auf den Bildern an der Wand und sogar auf der Speisekarte. Vermutlich gehörte dies zur Strategie des an den Friedhof angrenzenden Restaurants, um die Trauergäste ein wenig aufzuheitern. Das war er also. Bienenstich Nummer fünf auf Beerdigung Nummer fünf. Zur Auswahl stand diesmal zwar auch noch ein Nusszopf, aber der pappig süße Kuchen mit karamellisierter Mandelschicht durfte einfach bei keinem Leichenschmaus fehlen. Warum das so war, wäre durchaus eine Recherche wert, aber danach war Elli im Moment nicht zumute.
    Angeblich hatte der Leichenschmaus — was für ein furchtbares Wort — eine psychosoziale Bedeutung, zumindest hatte sie diese Behauptung Vorjahren in einer Talkshow aufgeschnappt. »Sagt Ja zum Leben«, sollte mit dieser makaberen Nahrungsaufnahme signalisiert werden. Zu dumm, dass Remy evangelisch gewesen war. Die Protestanten begnügten sich nämlich, ganz nach der puritanischen Tradition, mit staubtrockenem Kuchen, meistens mit Hefezopf. Der machte satt und war obendrein günstig. So ein Bienenstich dagegen grenzte bei den Protestanten wahrscheinlich bereits an Ketzerei. Bei den Katholiken gab es meistens etwas Deftiges, vor allem hier in Bayern. Warum man mit dem Verzehr von Gerichten aus totem Schwein das Leben bejahte, wollte Elli allerdings beim besten Willen nicht einleuchten.
    Immer noch starrte sie auf die mit einer schwarzen Schleife umwickelte Kerze, die auf dem Tisch vor ihr stand. Das Personal hatte an diesem Tag gleich zwei Trauergesellschaften zu bedienen, wobei man ihre Gruppe, die gerade mal aus drei Personen bestand, eigentlich gar nicht als Gesellschaft bezeichnen konnte. Der Bienenstich auf ihrem Teller schien Elli regelrecht anzuflehen. »Nun iss mich endlich. Die anderen«, damit meinte das süße Teil wohl Frieda und Remys Nichte Christine, »tun das ja auch.«
    Elli wurde schon beim Anblick schlecht. Bienenstich war sicherlich dazu gedacht, einem bleischwer im Magen zu hegen, vermutlich um die Tragik des Begräbnisses auch körperlich einzuzementieren. Seit einigen Jahren mied Elli die Kuchenecke beim Bäcker. Schon allein der Anblick eines dieser pappsüßen Teile war ihr zu viel. Trotzdem nahm sie sich vor, den Kuchen heute zu essen, ganz bewusst.
    Vielleicht sollte sie ein Testament aufsetzen und explizit darauf bestehen, dass es bei dem Essen im Anschluss an ihre Beerdigung keinen Bienenstich gab. Rein damit! Remy zuliebe. Schließlich
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