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Elli gibt den Loeffel ab

Elli gibt den Loeffel ab

Titel: Elli gibt den Loeffel ab
Autoren: Tessa Hennig
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las Elli fassungslos. Dann folgte noch die Aufforderung, die laufenden Kontokorrentkredite bis zum Monatsende zurückzubezahlen. Das war das Aus! Woher sollte sie dreißigtausend Euro nehmen? Selbst wenn alle ihre Stammkunden — immerhin hatte sie noch gut dreihundert Einträge in der Kartei — künftig jeden Tag mindestens zehn Filme ausliehen, wäre die Pleite unvermeidbar.
    Kraftlos ließ sich Elli auf den kleinen Bürostuhl am Tresen sinken. So kurz vor der Rente, schoss es ihr durch den Kopf. Hätte sie die paar Jahre nicht noch durchhalten können? Was hatte sie bloß falsch gemacht? Das bevorstehende Szenario lief wie ein Film vor ihrem geistigen Auge ab: Privatinsolvenz. Noch sieben Jahre, die sie von Sozialhilfe würde leben müssen. Gerade mal dreitausend Euro auf dem Sparbuch als eiserne Reserve — mehr hatte sie nicht. Das bisschen Schmuck, das sich über die Jahre angesammelt hatte, würde nicht reichen, um die Schulden zu bezahlen.
    Elli verabscheute Selbstmitleid, doch woran sollte sie noch Halt finden? Ihr Freundeskreis kegelte mittlerweile mit Ausnahme von Frieda im Himmel. Remy leistete ihnen bestimmt schon Gesellschaft. Frieda würde wegziehen. Mit Steffi, die sowieso nur ab und zu kurzfristig eingesprungen war, als Kegel-Duo weiterzumachen oder sich künftig allein ins Ginos zu setzen — das waren keine verlockenden Perspektiven. Von Perspektiven zu sprechen war ohnehin eine Beschönigung der Situation. Nein, es wäre das nackte Grauen! Wie sollte es nun weitergehen? Worauf sollte oder konnte sie sich überhaupt noch freuen? Etwa auf ein paar Jahre mit bestenfalls kümmerlicher Rente? Rosemarie erschien vor ihrem geistigen Auge. Allein in einem Wohn-stift?
    Mittlerweile saß Elli völlig in sich eingesunken da, und auf einen Schlag erschien ihr alles schwarz. Die Frage, warum es sich überhaupt noch lohnen könnte, weiterzumachen, pochte wie ein Dampfhammer in ihrem Kopf. Vermutlich würde es noch nicht einmal jemand bemerken, wenn sie nicht mehr da wäre. Manchmal tat es einfach nur gut, förmlich in Selbstmitleid zu zerfließen. Und wie es gerade floss. Rauslassen! Einfach rauslassen!
    Ob Doro überhaupt zu ihrer Beerdigung kommen würde? Immerhin hatte sie ihre ältere Schwester seit acht Jahren nicht gesehen. Ein Stück Bienenstich für Doro? Am Ende schmeckte ihr der Kuchen auch noch. Elli stellte sich vor, wie Frieda und ihre Schwester sich beim Leichenschmaus schweigend gegenübersaßen. Die beiden hatten sich nie kennengelernt, und da es der Anstand gebot, über Verstorbene nicht schlecht zu reden, würde Doro wohl lieber gar nichts sagen. Was für absurde Gedanken!
    Elli starrte vor sich hin, betrachtete die bunten Werbeprospekte, die sich vor ihr stapelten, als ob diese ihr die vielen Fragen beantworten könnten.
    Moment! Da hatte sich ja noch ein Brief mit in den Packen geschmuggelt. Ein orangefarbenes, hochwertiges Kuvert lugte heraus, allerdings ohne Absender. Elli zog es hervor. Was für eine schöne Briefmarke — aus Italien. Ein handgeschriebenes Adressfeld, eine schöne Schrift, so schwungvoll und lebendig. Elli konnte den Brief nicht schnell genug aufreißen. Unterschrieben von einem Fabrizio Cavalaro. Wer ist das denn?, überlegte sie. Schlagartig keimten Erinnerungen an zahlreiche Urlaube auf Capri auf- mit ihren Eltern. Was waren das für unbeschwerte Zeiten gewesen. Die goldenen Sechziger, als die Ferieninsel noch eine Perle war, der Inbegriff für Bella Italia, voller Magie und Tummelplatz der Reichen und Schönen. Jedes Jahr hatten sie die Sommerferien dort verbracht, in einer kleinen Pension. Wie hatte sie noch gleich geheißen?
    Elli schloss die Augen und stellte sich das Gebäude vor: ein schnuckeliges altes Haus, umgeben von Zitronenplantagen. Augenblicklich hatte sie den Duft der Früchte förmlich in der Nase. Natürlich! Fabrizio von Capri. Unglaublich! Das war der kleine Fischerjunge, mit dem sie und Doro als Kinder immer gespielt hatten. Fabrizio hatte ihr noch nie geschrieben. Eigentlich kannten sie sich ja überhaupt nicht — jedenfalls nicht als Erwachsene. Woher er wohl ihre Adresse hatte? Elli konnte den Brief nicht schnell genug aufreißen. Das Telefon klingelte. Egal, es sollte ruhig klingeln. Nichts war jetzt wichtiger als herauszufinden, was der ehemalige kleine Fischerjunge von Capri ihr mitzuteilen hatte.

    Liebe Eleonore,
    mein Brief wird Dich sicher überraschen. Ich hatte schon die Befürchtung, Dich nicht zu finden, aber es gibt einen Eintrag
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