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Elli gibt den Loeffel ab

Elli gibt den Loeffel ab

Titel: Elli gibt den Loeffel ab
Autoren: Tessa Hennig
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Stechschritt den Gang entlangeilte, hatte sie keine Chance, die Alte abzuhängen.
    »Das ganze Geld hab ich ihm gegeben. Und was ist der Dank? Mein Sohn besucht mich nicht einmal.«
    Die Ärmste! Elli konnte nicht anders, als stehen zu bleiben.
    »Das tut mir leid. Vielleicht bringt der Film Sie ja auf andere Gedanken.«
    »Firlefranz! Sie haben nicht zufällig Schokolade dabei?«
    Hieß es nicht Firlefanz? Demenz? Verkalkung? Auf alle Fälle war dies Zeichen einer extrem kurzen Leine. Noch nicht einmal Schokolade war den Leuten im Alter vergönnt, jedenfalls nicht im Sonnenhain.
    »Ich bekomme keine. Diabetes.«
    Das erklärte natürlich einiges. Elli fiel ein Stein vom Herzen, das schlechte Gewissen hingegen, weil sie die ältere Dame zu einem wahren Spurt über den Gang veranlasst hatte, wurde sie nicht los. Zumindest ein teilnahmsvolles Lächeln wäre jetzt angebracht. Ein Lächeln, das die Frau sofort erwiderte — voller Melancholie und mit einer ordentlichen Portion Traurigkeit in den Augen.
    »Wissen Sie, manchmal wünsche ich mir, einfach nicht mehr da zu sein.«
    »Aber Sie sind doch noch recht rüstig.« Zum zweiten Mal in Folge wünschte sich Elli, sich rechtzeitig auf die Zunge gebissen zu haben. Dämlicher und unsensibler hätte sie darauf kaum antworten können.
    »Wie alt sind Sie denn, wenn ich fragen darf?«
    »Neunundachtzig Jahre«, erwiderte die Frau.
    »Und wie lange sind Sie schon hier?«
    »Viel zu lange... eindeutig zu lange.«
    Der traurige Blick der Alten traf Elli mitten ins Herz.
    »Ich bin schon wieder so müde.«
    »Kommen Sie, ich begleite Sie zurück auf Ihr Zimmer«, bot Elli spontan an.
    »Nein, nein, Sie haben es doch eilig. Ich schaffe das schon.«
    Was tun? Elli war hin- und hergerissen zwischen Termindruck und Hilfsbereitschaft oder vielmehr ihrem schlechten Gewissen.
    »Ich bin die Rosemarie.«
    »Elli«, stellte sie sich vor und reichte der Frau die Hand.
    Die Art, wie Rosemarie an ihrer Hand Halt suchte, schenkte Elli sehr viel Wärme, und zugleich stieg die altbekannte Panik in ihr auf, nicht so enden zu wollen wie die Menschen hier. Nicht an einen Rollator gefesselt in irgendeinem Altersheim, das sich direkt an einer Hauptverkehrsstraße befand, nicht mit Todessehnsüchten und von Einsamkeit geplagt.
    Nein! Filmvorführung! »There’s no business like show-business.« Hatte Josef das nicht immer gesagt und, verdammt noch mal, hatte er damit nicht recht?
    »Ich wünsche Ihnen alles Gute.« Nichts wie weg!

    Montgomery Clifts Trompetensolo war atemberaubend. So ein gut aussehender Mann und dann noch diese Schmachtszene, der Klassiker schlechthin: Deborah Kerr und Burt Lancaster küssend am Strand, umspült von ungezügelt tänzelnden Schaumkronen der Urgewalten des Pazifiks. Sie lässt sich mit ihrem Nimm-mich-Blick in den Sand fallen.
    Er steht breitbeinig über ihr — so ein Macho! kniet nieder und küsst sie schließlich mit alles dahinschmelzender Leidenschaft. »Niemand hat mich bisher so geküsst wie du«, sagt Deborah daraufhin mit einer Inbrunst, die selbst Polareis zum Glühen bringen könnte.
    Verdammt in alle Ewigkeit — warum hieß der Film eigentlich so? From here to Eternity, wie der Originaltitel lautete, schien übersetzt ebenfalls keinen Sinn zu ergeben. So war Elli als einfache Zuschauerin im Saal mit etwa drei Dutzend über Achtzigjährigen damit zufrieden, den Sinn darin zu sehen, dass eine solche Leidenschaft zwangsläufig zu ewiger Verdammnis oder zumindest in eine Ehe führen würde.
    Josef hatte sie so geküsst. Zwar nicht am Pazifik, aber immerhin am Strand von Nizza. Zwei von der Sonne aufgeheizte Körper waren füreinander bestimmt gewesen, und der Moment, als sich ihre Lippen berührten, hatte in Ellis Erinnerung die Urgewalt eines ausbrechenden Vulkans. Wie weich und dennoch fordernd seine Lippen geschmeckt hatten. Wie sie am ganzen Körper wie Espenlaub zu beben begonnen hatte. Nun ja, zugegebenermaßen hatte sie sich all das während seines eher plumpen Annäherungsversuches lebhaft in ihrer Phantasie vorgestellt — ein einfacher Trick, um mehr aus dem Leben herauszuholen.
    Vorbei! Vergangenheit! Nun war sie sechzig! Ein bisschen angewelkt, allein, allein und nochmals allein. Immerhin hatte sie Frieda, nach Remys Abgang noch ein Kegeltrio — Steffi mit eingerechnet — und eine Videothek, die mehr schlecht als recht lief, ihr aber dennoch gelegentlich nette Kundschaft bescherte. Ein besseres Schicksal als das von Rosemarie. Musste sie
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