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Elfennacht 01. Die siebte Tochter

Elfennacht 01. Die siebte Tochter

Titel: Elfennacht 01. Die siebte Tochter
Autoren: Frewin Jones
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entgegen.
    Ohne darüber nachzudenken, was sie tat, glitt Anita mit dem Kopf voran durch das Fenster und stieg in den klaren Nachthimmel auf.
    Unter ihr funkelten und glitzerten die Lichter der Großstadt, wunderschön, aber irgendwie auch weit entfernt, als würde man aus einem Flugzeug auf die Erde hinabblicken. In den Straßenschluchten bewegten sich Autos in langen weißen und roten Schlangen. Lichterketten umrahmten zu beiden Seiten das gewundene Flussbett der Themse. Brücken, hell erleuchtet wie Partydeko, zerteilten das dunkelblaue Wasser. Schimmernde Boote warfen ihre Schatten auf den schwarzen Fluss.
    Anita breitete die Arme aus, hob das Gesicht zu den Sternen und zu der schlanken Mondsichel und bog den Oberkörper nach hinten durch, um höher aufzusteigen.
    »Ich fliege!«, rief sie laut.
    Als Kind hatte sie oft davon geträumt, fliegen zu können und über die Baumwipfel zu sausen, Schornsteine zu streifen, kunstvolle Sturzflüge in der Luft zu vollführen, während alle ihre Freunde neidisch den Atem anhielten.
    Das Seltsamste aber war, dass es sich jetzt, da es wirklich geschah, gar nicht merkwürdig anfühlte.
    Während sie über den Dächern Pirouetten drehte, ließ der Nachtwind ihren Schlafanzug flattern und zerzauste ihr das Haar.
    »Bestimmt sehe ich wie ein Engel aus«, sagte sie laut. Sie schlug einen Salto in der Luft und ging dann in einen Sturzflug über. Dabei blickte sie auf die näher kommenden Straßen hinunter.
    Kann mich jemand sehen?
    Sie winkte. »He! Hier oben!«
    Doch niemand sah zum Himmel hinauf.
    Sie runzelte die Stirn. »Wie soll ich Mum das nur jemals erklären?«
    Plötzlich verzerrte sich die Welt unter ihr wie ein Spiegelbild, wenn man einen Stein ins dunkle Wasser wirft. Die Straßen und Gebäude der Stadt wankten und schwankten und dann gingen mit einem Schlag alle Lichter Londons aus.
    Kurzzeitig war Anita so erschrocken, dass sie ganz vergaß, mit den Flügeln zu schlagen.
    Sie war schon die halbe Strecke zur Erde gestürzt, bevor sie sich wieder darauf besann, ihre Flügel zu bewegen. Sie spannte ihre neuen Muskeln an und stieg langsam höher. Die Bewegung fühlte sich so natürlich an, als würde sie einen Arm oder ein Bein bewegen, und sie schien instinktiv zu wissen, wie sie ihren Körper ausrichten musste, um an Höhe zu gewinnen und das Gleichgewicht zu halten.
    Die Stadt war verschwunden!
    Über ihr glitzerten noch immer die Sterne, aber unter ihr lag jetzt nur noch tiefe, gähnende Dunkelheit.
    Flügelschlagend schwenkte Anita herum, um den runden Vollmond anzuschauen.
    Der Mond hatte sich verändert. Über London hatte eine schmale Sichel gehangen, denn es war kurz nach Neumond.
    Doch jetzt herrschte Vollmond und er war so nahe, dass sie sogar die dunklen Krater sehen konnte, die die Oberfläche wie Narben überzogen.
    Sie blickte wieder hinunter. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit.
    Die Themse schlängelte sich noch immer durchs Land. Doch die Glitzerlichter von London waren verschwunden. Und die Nacht wirkte nicht mehr ganz so dunkel, es war jetzt mehr ein blaugraues verschlafenes Dämmerlicht.
    Am Nordufer des Flusses lag ein riesengroßer Palast mit verschiedenen Eck- und Wohntürmen, Wachhäuschen, Innenhöfen, Zinnen und Säulen, die sich weiter und weiter zu erstrecken schienen.
    Über den Fluss führten Brücken und am Südufer standen dicht gedrängt viele Häuschen. Jenseits von ihnen lag ein dichter dunkler Wald.
    Fasziniert glitt Anita tiefer, angezogen von den Lichtpunkten, die hier und dort glommen wie Kerzen, die in unverglasten Fenstern flackerten.
    Doch als sie näher kam, sah sie, dass viele Mauern und Gebäude eingestürzt waren. Sie ließ sich weiter herabsinken und flog dicht über den Fluss hinweg. Sie kam zu einer Brücke, aber auch die war halb zerstört, die Bögen verfallen. Mauerstücke ragten wie gezackte Zähne aus dem schwarzen Wasser.
    Anita flog über den Palast hinweg.
    Die Dächer über den großen Sälen waren eingefallen und löchrig, die hoch aufragenden Türme aufgerissen und ausgehöhlt.
    Es war, als hätte ein Krieg im Land getobt und nur Zerstörung und Verwüstung hinterlassen.
    Tränen brannten in Anitas Augen. So durfte es nicht sein.
    So hatte sie es nicht in Erinnerung.
    »Nein!« Sie machte eine Kehrtwende und flog wieder in den dämmrigen Himmel hinauf. »Nein!«
    Da unten hätten Lichter brennen müssen, Tausende hell funkelnde Lichter, die darum wetteiferten, jeden Schatten zu vertreiben. Man
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