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Elfenblick

Elfenblick

Titel: Elfenblick
Autoren: Katrin Lankers
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mathematische Gleichung wie um ein tief greifendes philosophisches Problem handeln. Schwer verdauliches Zeug auf jeden Fall! Mageli schwang ein Bein über den Gepäckträger und ließ das Rad mit nur einem Fuß auf dem Pedal vor Rosann ausrollen.
    »Hallo, jemand zu Hause?«, begrüßte sie ihre Freundin.
    Von einer Sekunde auf die andere wich der abwesende Ausdruck von Rosanns Gesicht und sie strahlte Mageli an. Wie immer war Mageli ein bisschen neidisch auf die tiefen Grübchen, die sich in Rosanns Wangen bohrten. Die Grübchen seien das Einzige, was ihre Eltern an ihr hinbekommen hätten, betonte Rosann und dass sich Mageli mit ihrem perfekten Gesicht nicht über ein paar fehlende Grübchen beschweren dürfte. Aber Mageli fand, dass diese Grübchen Rosanns eher durchschnittliches Gesicht mit der etwas zu großen Nase zu etwas ganz Besonderem machten. Und sie hätte viel darum gegeben, auch solche Grübchen in ihrem schmalen Gesicht mit den hohen Wangenknochen zu haben. Mal ganz davon abgesehen, dass sie sich selbst nicht hübsch fand!
    »Ich habe eine schlechte und eine sehr schlechte Nachricht«, verkündete Rosann, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. »Welche möchtest du zuerst hören?«
    »Ich denke, die schlechte. Dann habe ich ein bisschen Zeit, mich auf das Schlimmste einzustellen.«
    »Sport fällt aus.« Rosann seufzte theatralisch. »Kalle hat sich beim Training den Fuß verstaucht oder so. Jedenfalls sitzt er sich jetzt seinen knackigen Allerwertesten auf seinem staubigen Sofa wund und kann heute definitiv und nächste Woche wahrscheinlich auch nicht unterrichten.«
    Mageli gestattete sich ein ironisches Grinsen. Das war keine schlechte Nachricht. Das war sogar eine ausgesprochen gute Nachricht! Sie musste sich keine Gedanken mehr über das vergessene Sportzeug machen. Und auch nicht darüber, dass sie immer als Letztes in die Mannschaft gewählt wurde, obwohl sie eine der besten Sportlerinnen der Klasse war. Auch Rosann war eigentlich kein Fan von körperlicher Betätigung in der Gruppe. Ihre Begeisterung beschränkte sich ausschließlich auf den Sportlehrer Karlheinz Pelzer, genannt Kalle.
    »Oje, das muss ein schwerer Schlag für dich sein«, zog Mageli die Freundin auf. »Aber sieh es mal so: zwei Freistunden am Ende des Vormittags. Da können wir uns noch ein großes Eis gönnen, bevor wir nach Hause radeln.«
    »Von wegen.« Rosann zog ein Gesicht. »Angesichts des bevorstehenden Konzerts hat Jodel-Ursel unsere Frau Direktor überzeugt, ihr die Sportlücke als Zusatzprobe zu überlassen. Halt dich fest: zwei Stunden Musikunterricht!«
    Magelis Laune, die gerade erst angefangen hatte, sich aufzuhellen, war auf einen Schlag wieder düster. Das war eine schlechte Nachricht! Jodel-Ursel, eigentlich Frau Ursulin, war eine gescheiterte Opernsängerin, die ihrer verpatzten Karriere nachtrauerte. Zum Ausgleich versuchte sie, mit ihrer Klasse Opern einzustudieren, und gelegentlich verfiel sie auf den Gedanken, man müsse das Erlernte öffentlich vorführen. Immerhin wollte sie sich für den Auftritt im Altenheim auf zwei einfache Volkslieder beschränken und nicht wieder selbst Arien schmettern. Mit Grauen dachte Mageli an das letzte Konzert zurück, als Frau Ursulin auf der Bühne die Kameliendame gegeben hatte. Sie hatte nicht nur jeden hohen Ton haarscharf verfehlt, sondern beim Abgang auch die Treppenstufen – und war Mageli direkt in die Arme gestürzt. Drei Wochen lang hatte Mageli hinterher noch blaue Flecken gehabt.
    Mageli würde ohnehin nicht mitsingen. Frau Ursulin hatte sie von den Chorproben ausgeschlossen. Angeblich, weil sie sich auf ihr Flötenspiel konzentrieren sollte, vielleicht lag es aber auch daran, dass Magelis hoher Sopran glasklar aus den anderen Stimmen herausstach.
    Gedankenverloren schloss Mageli ihr Fahrrad mit einer dicken Kette an einer freien Stange fest. Ihre Querflöte hatte sie jetzt natürlich auch nicht dabei. Na, dann würde sie eben zwei Stunden lang herumsitzen und zuhören.
    Gebt mir eine überdimensionale Fliegenklatsche und ich schlage ein bisschen die Zeit tot!
    »Alltag ist nur durch Wunder erträglich«, sagte Rosann, als hätte sie Magelis Gedanken gelesen.
    »Aha. Und von wem stammt das Zitat des Tages?«
    »Max Frisch.«
    »Kenn ich. Deutscher Schriftsteller.«
    »Schweizer«, korrigierte Rosann prompt.
    »Klugscheißerin.«
    »Jetzt fang du nicht auch noch an.«
    Sie lachten beide. Mit Rosann war es immer so einfach, gut drauf zu sein, dachte
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